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Kultur: Verblühende Landschaften

Freiflächennutzung und die Zukunft der Städte: Zwei Utopien in den Berliner Galerien Neu und Joanna Kamm

Von Claudia Wahjudi

Willkommen in der Geisterstadt. Hier gibt es alles, was man zum Leben braucht. Einfamilienhäuser und Wohnblocks mit Büros, Kaufhallen, Gaststätten, Fabriken und Krankenhäuser, ein Volksbad und zwei Kinos. Im Park steht sogar ein Schloss. Hochattraktiv ist dieser menschenleere Ort.

„Verlassene Stadt“ haben Sybil Kohl, Albrecht Schäfer und Philipp Oswalt ihre Ausstellung in der Galerie Kamm genannt. Die beiden Berliner Künstler und der Architekt thematisieren den geplatzten Traum von den blühenden Landschaften. Raum für 2,3 Millionen Menschen bieten all die ungenutzten Gebäude in Ostdeutschland. Zusammen genommen ergäben sie die zweitgrößte Stadt der Bundesrepublik. Gescheiterte Wirtschaftskonzepte, Abwanderung und die Neubauten in den Speckgürteln sind die Ursachen für den gigantischen Leerstand.

Doch nicht nur die Dimensionen faszinieren. Kohl, Schäfer und Oswalt haben Schwarzweiß-Fotos von verlassenen Gebäuden, die sie in Immobilienanzeigen fanden, vergrößert und auf die Wände tapeziert. Hinter dem Schleier des groben Korns lassen sich Details erkennen, Spuren von Wetter und Bewohnern. Zudem weckt eine Broschüre mit Bildern und Kurzbeschreibungen zu rund 70 Objekten Begehrlichkeiten. Wie wäre es mit einer Gartenlaube, gar einem Landsitz am Weinberg? Allerdings erweist sich, was erschwinglich aussieht, schnell als sanierungsbedürftig oder abrissreif.

„Verlassene Stadt“ gehört zum Rahmenprogramm des eben zu Ende gegangenen Architektur-Weltkongresses. Die Ausstellung nimmt das Motto der internationalen Tagung wörtlich. Denn Architektur stellt eine beachtliche Ressource dar. Die Fototapete lenkt die Aufmerksamkeit auf Material und Mühe, die in den Gebäuden stecken, und auf die Geschichte des Wohnens und Arbeitens. Diese historische Aura lässt die Häuser unabhängig von ihrem Marktpreis wertvoll erscheinen und zur kontrastreichen Projektionsfläche für Träume werden. Hier einziehen und eine Zeit lang Schubladenprojekte verwirklichen! Hat doch die „kulturelle Zwischennutzung“ leerer Fabriken bewiesen: Neue Kreativität wirkt am spektakulärsten an alten Produktionsstätten.

Nach dem Boom

Provisorien sind jedoch der Architekten Sache nicht. Sie wollen bauen, überformen, abreißen und sei es nur im Spiel. Auch „Shrink to fit“ in der Galerie Neu thematisiert das Ende eines Booms. Die Ausstellung konzentriert sich auf Berlin, dem eine Metropolenzukunft vorausgesagt wurde. Zwar wird noch immer gebaut, doch für Architekten ist die Hauptstadt mit ihrem Überangebot an Büroflächen, ihrer prekären Wirtschaftslage und dem Fortzug vieler Bewohner ins Umland nicht mehr interessant. Spektakuläre Aufträge winken jetzt anderswo: beispielsweise in China, wie gerade die Ausstellung des Architektenbüros Behnisch & Partner in der Galerie Aedes East demonstriert hat.

Die Galerie Neu nimmt die Berliner Flaute zum Anlass, nach dem kreativen Potenzial der Krise zu suchen. Eine Sommerausstellung lang verzichtet sie auf den Verkauf von Kunst. Stattdessen hat sie vier Architekturbüros aus Berlin, Wien und Basel, die in der Kunstszene für ihre Ausstellungsarchitekturen und Galerieumbauten bekannt sind, gebeten, ihre Version der geschrumpften Stadt in kleinen Panoramakästen vorzustellen.

„Berlin wird kleiner und gewinnt gerade daraus neue Größe“, meldet eine Wandaufschrift im Foyer und verspricht „eine Schlankheitskur, eine Flurbereinigung“. Nicht dem Boom hinterher zu ziehen, lautet die Devise, sondern – ähnlich wie in der „Verlassenen Stadt“ – Akzeptanz der Depression.

Jeder Quadratmeter des utopischen Berlins wurde verplant. So haben Tobias Engelschall und Oda Pälmke die Volksparks radial um den Tiergarten angeordnet. Das soll Berlin „verlangsamen“: Die Ausdehnung der Parks, die nun die Rolle des Stadtzentrums einnehmen, betont den Freizeitwert der Hauptstadt. Auch das Büro Kühn Malvezzi, das die Architektur der Documenta 11 verantwortet, betont die Freizeit. Es hat alle ihm unliebsamen Bauten entfernt: Übrig blieben nur Altes Museum, Rotes Rathaus, Fernsehturm, Bauakademie und Friedrichwerdersche Kirche, die nun ein übergroßer Park mit Sportanlagen verbindet. Aus dem Grün ragen hier und da ungebaute Klassiker der Moderne hervor: etwa Mies van der Rohes gläsernes Bürohaus für die Friedrichstraße.

Jessen und Vollenweider wiederum verdichten das Zentrum zu einem pittoresken Städtle mit Stuck und Gaslaternen. Und Behles & Jochimsen haben die Hinterhöfe an den Magistralen entkernt, um auf den frei gewordenen Flächen Häuschen mit Garten platzieren zu können. Leere und Zufall haben hier keine Chance. Damit formuliert „Shrink to fit“ – allen Gemeinsamkeiten zum Trotz – die Gegenthese zu „Verlassene Stadt". In seinem Buch „Berlin – Stadt ohne Form“ plädiert der Architekt Philipp Oswalt für einen „Automatischen Urbanismus“, der sich nicht an Brüchen und Leerräumen stört: „Stadtplanung wird zu einem taktischen Spiel, das ... auf die Idee eines definierten Endresultats verzichtet“. An diesem Punkt trifft sich Oswalt mit Kohl und Schäfer, die zu sperrigen, unfertigen Architekturen und deren Anknüpfungspunkte für Utopien gearbeitet haben. Auch ihre gemeinsame Fiktion von der „Verlassenen Stadt appelliert daran, auf das Potenzial von Utopie zu vertrauen. Aus Immobilien haben sie mobile Objekte gemacht, die dem Diktat von Nützlichkeit und Verwertung entrinnen. Zumindest für einen kurzen ideellen Moment.

Galerie Joanna Kamm, Almstadtstraße 5, bis 10. August, Mittwoch bis Freitag 13-19 Uhr, Sonnabend 13-18 Uhr.

Galerie Neu, Philippstraße 13, bis 15. August, Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr.

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