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Kultur: Verbrechen? Hat niemand beobachtet Die Berlin Biennale leidet an politischer Naivität

Wäre die 7. Berlin Biennale keine Kunstausstellung mit Anspruch auf politische Radikalität, sondern ein soziologisches Experiment, so müsste man ihr schon jetzt durchschlagenden Erfolg bescheinigen.

Wäre die 7. Berlin Biennale keine Kunstausstellung mit Anspruch auf politische Radikalität, sondern ein soziologisches Experiment, so müsste man ihr schon jetzt durchschlagenden Erfolg bescheinigen. Angetreten, „reale Taten in einer realen Welt“ zu vollbringen, hat BiennaleChef Artur Zmijewski gegen seine eigenen Intentionen bewiesen, dass die Sehnsucht nach Aktivismus nicht als Mittel zur Erlangung politischer Wahrheiten taugt. Die bewundernde Zurschaustellung des Politischen ist noch keine Politik, und der Handlungswille setzt den Handelnden nicht automatisch ins Recht, ganz egal, ob man im Tiefparterre Demonstranten campieren lässt oder Abgesandte militanter Untergrundorganisationen zum Gipfeltreffen lädt.

Dabei schien die Idee des niederländischen Künstlers Jonas Staal originell. In einer Art alternativem Weltparlament am vergangenen Wochenende in den Sophiensälen wollte er die Sprecher terrorismusverdächtiger Gruppen zum Gespräch verführen. Im elegant gezimmerten Uno-Plenum sollten sie herrschaftsfrei Argumente vortragen, und so fanden sich vor der Kulisse dramatisch ausgeleuchteter Flaggen der Al-Aksa-Brigaden, der Indischen Mujahedin und gut sechzig anderer politischer Bewegungen sieben Gesandte ein, vom Anwalt bis zum abgebrühten PR-Unterhändler.

Wie in einem Fernsehstudio ist die Architektur um eine Handvoll Stehpulte arrangiert. Das sieht ein bisschen nach Olympiapark und ein bisschen nach patriotischer Parade aus. Was dann geschieht, ist ein Debakel politischer Naivität:Ob da ein Repräsentant der philippinischen New People’s Army (NPA) in stalinistischer Diktion die Befreiung der Arbeiter und Bauern prophezeit oder eine Aktivistin die Ideologie der kurdischen PKK als radikalfeministisches Theorieprojekt preist – niemand greift ein, niemand widerspricht, kein Moderator rückt Fakten zurecht. Selbst als der Tuareg-Vertreter Moussa Ag Assarid im Namen der MNLA, der Nationalen Bewegung für die Befreiung des malischen Azawad, den Vorwurf systematischer Massenvergewaltigungen beiseite wischt, bleibt die Atmosphäre entspannt. Ja, er habe mit dem medizinischen Personal der Region gesprochen. Nein, niemand habe Verbrechen beobachtet. Und auch auf mehr als 830 Tote bei rund 4000 ETA-Anschlägen muss sich der Vertreter der baskischen Separatisten nicht ansprechen lassen.

Am Ende ist es mit Nancy Hollander und Linda Moreno zwei prominenten amerikanischen Bürgerrechtsanwältinnen vorbehalten, der Biennale zu zeigen, dass das Problem heutiger Kunst nicht ihr mangelndes Engagement ist, sondern der Mangel an Wissen. In gerichtserprobter Akribie beschreiben die Juristinnen die Vagheit der Terrorgesetze, überstaatliche Willkür und den verfahrenstechnischen Kampf um die Rechte Beschuldigter. Nicht die Strafverfolgung politischer Gewalt, sondern das Abhandenkommen rechtsstaatlicher Fairness sei das Problem. Mit jedem wohlabgewogenen Satz wird deutlicher, dass Emanzipation aus der Klarheit des Arguments erwächst, nicht aus Schnellfeuerwaffen oder exotisierender Sympathie für Heldentum.

Zum Schluss erhebt sich Biennale-Chef Zmijewski doch noch von seinem Zuschauersitz. Für einen Moment verschränkt er die Hände und schreitet an der Flaggenparade entlang. Wie ein trauriger, deprimierter Staatsmann wirkt er da. Dann hebt er die Kamera und macht Erinnerungsfotos.

Es sind die eigenen Sehnsüchte, die seine Berlin Biennale bislang vor allem abbildet. Ihr bleiben noch 53 Tage Zeit für wirklichen Streit über eine andere politische Kunst. Weil Zmijewskis Leiden am Kunstbetrieb ernst zu nehmen ist, wünscht man ihm einen zweiten Anlauf bei diesem Versuch. Gerrit Gohlke

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