zum Hauptinhalt

Kultur: Verdeckte Ermittlungen

Frauen dürfen im Iran nicht öffentlich tanzen. Wie die Choreografin Helena Waldmann mit dem Verbot spielt

Von Sandra Luzina

Der Brief kam aus Teheran. Er erreichte Helena Waldmann in Salvador de Bahia, wo sie gerade an einem Stück arbeitete. Das Schreiben war eine Einladung: Die Regisseurin, die für ihre ungewöhnlichen Aufführungen im Grenzbereich von Tanz und Theater bekannt ist und einmal über die Idee einer Theaterkarawane zwischen Orient und Okzident fantasiert hatte, sollte einen Workshop in Teheran geben. Sie sagte zu. Da wusste sie noch nicht, was sie erwartet. Sie wusste nur: Im Iran ist den Frauen das Tanzen in der Öffentlichkeit verboten. Es gibt nicht einmal ein Wort dafür. Offiziell ist nur von „rhythmischer Bewegung“ die Rede. „Das war natürlich ein Aspekt, der mich extrem gereizt hat“, erklärt Waldmann lächelnd.

Bei dem Workshop blieb es nicht. Die Berlinerin ist die erste deutsche Choreografin, die ein Stück im Iran erarbeitet hat. „Letters from Tentland“ heißt es und ist nicht nur ein Politikum, sondern vor allem ein exzeptionelles Theaterereignis. Die Karawane, von der Helena Waldmann träumte, ist wirklich losgezogen. Auf internationalen Festivals gefeiert, macht sie nun an zwei Abenden an der Berliner Schaubühne Halt. Es war ein weiter Weg.

Der europäische Blick auf den Orient ist meist vom Schleier und dem Geheimnis – oder erotischen Versprechen – gefesselt, das ihn umgibt. Doch Helena Waldmann weist auch den aufgeklärten Enthüllungsgestus zurück. Sie zeigt uns nicht die Welt hinterm Schleier. Stattdessen betätigt sie sich als raffinierte Verpackungskünstlerin – und als verdeckte Ermittlerin. Geprobt wurde hinter verschlossenen Türen – davor warteten die Zensoren. Waldmann ermutigte die Darstellerinnen, sich nicht vorschnell selbst zu zensieren und auszuprobieren, was möglich ist. Und war dann von deren Erfindungsgeist verblüfft. „Sie arbeiten permanent daran, die Grenzen des Möglichen zu erweitern“, weiß Waldmann.

Im Stadtbild von Teheran waren der Regisseurin die kleinen Zelte aufgefallen, angeregt durch dieses objet trouvé bittet sie die Darstellerinnen, in Zelte zu schlüpfen. „Zunächst schlugen alle die Hände über dem Kopf zusammen“, erzählt die Regisseurin. „Helena, das geht nicht!“, protestierten die Akteurinnen. Doch sie insistierte und schuf eine Versuchsanordnung, die konsequent ausgereizt wird. Denn raus dürfen die Frauen nicht, bis zum Schluss lüften sie ihre Identität nicht. Eine Herausforderung: Die Darstellerinnen mussten nicht nur ausprobieren, wie man sich in den „mobilen Räumen“, bewegen kann, sie mussten vor allem lernen, mit der Beengung kreativ umzugehen. „Wir mussten ein neues Theateralphabet lernen“, sagt die Regisseurin. So entfaltet das Zelt-Experiment auf der Bühne seinen eigenen Reiz. Sechs Stoffgehäuse stehen zu Beginn aufgereiht an der Rampe wie eine kleine Festung – aus kleinen Gitterfenstern blicken dunkle Augenpaare.

Am Ende steht nur noch ein schwarzes Zelt da, das alle anderen verschluckt hat. Ein eigenartiger Tanz ist dem vorausgegangen, die luftigen Stoffhüllen schweben, schwanken und überschlagen sich, sie stehen Kopf, und immer mal tanzt eins aus der Reihe. Die Stimmen und Zeichen, die aus dem Innern dringen, lassen sich nicht gleich deuten. Es sind – wie der Titel sagt – „Briefe“ aus einem rätselhaften Land, deren Botschaften man erst entschlüsseln muss. Man sieht sich mit einer Kultur konfrontiert, die für westliche Betrachter nicht unmittelbar lesbar ist. Mehr noch: Die Absenderinnen dieser Briefe bleiben bis zuletzt unsichtbar. So schafft Waldmann ein treffendes Bild für die Situation der Frauen unterm Mullah- Regime.

Die Konstruktion von Blicken ist zentral für Helena Waldmanns Inszenierungen. Insofern sind die „Letters from Tentland“ für sie eine logische Fortsetzung ihrer bisherigen Arbeit. „Ich habe schon oft Darsteller eingesperrt, hinter Spiegeln und Plastikfolien verborgen oder zu zweidimensionalen Figuren zusammengedrückt. Dass ich die Frauen nun in Zelte gesteckt habe, ist nicht nur ein ästhetischer Trick, sondern ein Mittel, um etwas aufsprengen, um Dinge auszusprechen, die ich sonst nicht hätte sagen können.“

Im Schutz der Anonymität lässt sich Klartext reden. „Die Zelte sind wie Briefumschläge, womit die Darstellerinnen sie füllen, blieb ihnen überlassen“, erklärt die Regisseurin, die zur stellvertretenden Machtinstanz wird, zum Regime an Stelle des Regimes: Sie ändere ständig die Regeln, nach denen sie agieren müssen, sagen die Frauen. Und indem die Choreografin sie in Zelte verbanne (das Wort „Tschador“ bezeichnet im Persischen sowohl das Zelt als auch den Schleier), verhülle sie sie gleichsam ein zweites Mal. Was sich in dieser verborgenen Welt abspielt, entzieht sich unserer Wahrnehmung. Aber wir erfahren, wie die Frauen sich mit List und Fantasie gegen das Unsichtbar-Sein wehren. Und dass sich ihre Tanzlust, ihre Ausdruckswut nicht bändigen lässt.

„Letters from Tentland“ wurde zum Wendepunkt in Waldmanns künstlerischer Biografie. „Durch die Arbeit habe ich nicht nur einen tiefen Einblick in eine total fremde Kultur bekommen, ich habe auch neue künstlerische Perspektiven gewonnen“, erklärt die Regisseurin.

Jedenfalls hat sie sich damit für schwierige Jobs im Parcours des internationalen Kulturaustauschs qualifiziert. Der führte sie im Mai 2005 nach Ramallah, wo sie im Auftrag des Goethe-Instituts mit der palästinensischen El-Fonoun Dance Troup einen Tanzdokumentarfilm drehte: „Emotional Rescue“. Wieder war die Regisseurin ohne fertiges Konzept angereist. Den Darstellern sagte sie: „Ich möchte ein Stück mit euren Geschichten machen.“ Die kreisen alle um das Thema Besatzung und Unterdrückung, so dass die Regisseurin erneut eine Sprache dafür finden musste, eingesperrt zu sein. „Es sind Geschichten von Behinderung und Nicht-Bewegung, von totalem Stillstand und Hoffnungslosigkeit“, sagt Waldmann.

Doch ihre Figuren tanzen. Es ist der Traum von Freiheit, der zum Movens wird, und so einfach wie wahr: Fantasie kann man nicht einsperren. In „Letters from Tentland“ ist einmal ein tanzender Schatten zu erkennen, wie ein fernes Echo dringt ein betörender Gesang ans Ohr.

„Letters from Tentland“: 18. und 19. Oktober, 20 Uhr in der Schaubühne.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false