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Verfall: Berlin lässt seine Denkmäler verrotten

Glanzlos: Berlin ist reich an Denkmälern, aber zu arm und chaotisch, sie zu pflegen. Zuständig sind immer die anderen, es fehlt an einheitlichen Regelungen. Eine Schadensmeldung.

Von Maris Hubschmid

„Lehn’ dich da nicht an“, mahnt eine Mutter ihren sechsjährigen Sohn, als der sich der Bronzestele auf dem Henriettenplatz in Wilmersdorf nähert. Obelisk und Sockel sind beschmiert, beklebt, verdreckt. Namen und Hassparolen sind in die Oberfläche geritzt. Was einst gülden schimmerte, ist zu einem unappetitlichen Braun oxidiert. Die Kunst ist das Gewissen der Menschheit, hat Friedrich Hebbel gesagt. Doch wie gewissenlos gehen die Menschen mit der Kunst um.

Nicht nur, dass Verunstaltungen längst zum Normalfall geworden sind. Auch für die Bekämpfung des natürlichen, witterungsbedingten Verfalls fühlt sich niemand verantwortlich. „Früher spiegelte sich die Sonne in der Schräge an der Spitze der Stele, ein regelrechter Lichtball entstand“, sagt Heinz Mack über sein Kunstwerk. „Heute macht ihr Anblick niemandem mehr Freude.“ Seit Jahren appelliert Mack an die Stadt Berlin, dass sich doch jemand um die Renovierung seines 1987 auf Betreiben des Bezirks Wilmersdorf errichteten Obelisken kümmern möge. Er wurde weiter und weiter verwiesen – passiert ist nichts.

Einmal hat die Bronzegießerei Noack, in deren Werkstatt die Stele gefertigt wurde, grobe Verschleißerscheinungen ausgebessert. Jetzt bräuchte das Werk eine Komplettreinigung und eine neue Patinierung. Es müsste demontiert und in der Gießerei überholt werden. Beim Bezirksamt Charlottenburg heißt es dazu: „Das Bauwerk liegt in der baulichen Unterhaltspflicht der Senatsverwaltung“. Dort zeigte man sich überrascht: „Welche Skulptur soll das sein?“ Macks Kunst wird in 160 Museen dieser Welt gezeigt. Berlin aber lässt seine Schätze verwahrlosen.

Wer aufmerksam durch die Stadt geht, findet zahlreiche andere Beispiele. Der Bogen an der Urania ist von dunklen Flecken gezeichnet, das Holocaust-Mahnmal von Rissen. Berlins erste Verkehrsampel, der fünfeckige Turm auf dem Potsdamer Platz, war in den zwanziger Jahren über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Heute stehen seine großen Uhren still. Turnvater Jahn thront in der Hasenheide auf Widmungstafeln, die kaum mehr entzifferbar sind. Kratzer und Schmutz haben auch dem erst im vergangenen Jahr eröffneten „Boulevard der Stars“ bereits jeden Glanz genommen. Die Sterne von Ruth Leuwerik, Marlene Dietrich und Barbara Baum fristen ihr Dasein zwischen zahlreichen Kaugummiflecken.

Woran liegt es, dass sich niemand kümmert? Die Verantwortlichkeiten sind von Fall zu Fall verschieden. „Nicht alles, was gemeinhin als Denkmal bezeichnet wird, ist ein Denkmal“, sagt Helmut Petersen vom Landesdenkmalamt Berlin. Was die Bezeichnung verdient, weil es baugeschichtlich oder historisch von Bedeutung ist, entscheiden Gutachter im Auftrag der Stadt. Rund 8000 Positionen umfasst die offizielle Denkmalliste zur Zeit, von der Handpumpe bis zur Krankenhausanlage. Macks Bronzeobelisk ist nicht auf dieser Liste. Und selbst wenn dem so wäre: Das Landesdenkmalamt ist nur für Großobjekte, wie etwa das Olympiastadion, zuständig. Die restlichen Objekte werden zwar in den Akten des jeweiligen Bezirksamts geführt, eine Unterhaltspflicht aber gibt es nicht. „Erste Priorität bei der Entscheidung, welches Objekt saniert werden soll, hat dessen Standsicherheit beziehungsweise Verkehrssicherheit“, sagt Horst Lucht vom Bezirksamt Mitte. Rein ästhetische Mängel könnten nicht berücksichtigt werden.

Wenn ein Kunstwerk oder Denkmal errichtet wird, geschieht das oft auf die Initiative privater Investoren hin. „Wo Kunst neu entstehen soll, kommt das Bezirksamt als Kurator in Spiel“, sagt Klaus- Dieter Gröhler, Bau- Bezirksstadtrat in Charlottenburg – „aber nicht als Geschäftsführer“.

Als solche betrachten die Finanziers sich in der Regel auch nicht, sondern vielmehr als Schenker, als edle Einmalspender. Betriebskosten berücksichtigt bei der Planung selten jemand. Je nachdem, auf wessen Grundstück das Objekt steht, ist dann der Bezirk, das Gartenbauamt, die Senatsverwaltung oder auch der Bund gefordert, wenn Instandhaltungsmaßnahmen nötig werden. Die Kommunen verfügen jedoch kaum über finanzielle Mittel für derartige Leistungen.

Eigentümer – in vielen Fällen Unternehmen – können über steuerliche Abschreibungen Geld für Sanierungsmaßnahmen aufbringen. Manche sind sich dieser Möglichkeit nicht bewusst. Andere realisieren womöglich gar nicht, dass sie Eigentümer sind. Die Verträge, die ihre Vorgänger geschlossen haben, vergilben in irgendwelchen Schubladen. Und wieder andere investieren das Geld, das auf diese Weise zusammenkommt, lieber anderweitig. Wie etwa der Deutsche Turnerbund, der es zur diesjährigen Turn-Europameisterschaft in Berlin offenbar für nachrangig hielt, den Gründervater Jahn auf seinem Thron für den besonderen Anlass aufzupolieren.

In anderen Ländern sieht es ähnlich aus, allerdings fallen die Nachteile dieses Laisser-faire weniger auf. In Dänemark oder Frankreich etwa gibt es ein viel solventeres Stiftungswesen, dort sind mehr Menschen dazu bereit, Geld für die Kunstlandschaft der Stadt zu geben. In Berlin gibt es ebenfalls Vereine, die alles daran setzen, Schönes und Bedeutsames vor dem Verfall zu retten. Der Verein „Denk mal an Berlin“ beispielsweise hat dem Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain und der Iffland-Grabstätte in Kreuzberg zu neuer Pracht verholfen. Bei den zahlreichen Skulpturen aber, die es in Berlin gibt, bleiben etliche unversorgt.

Deshalb hat die Renovierung der zwei von Wolf Vostell in Beton gegossenen Cadillacs auf der Verkehrsinsel am Wilmersdorfer Rathenauplatz sein Sohn in die Hand genommen. Wo sich keine engagierten Erben finden, verschwinden Kunstwerke manchmal auch ganz. So wie jüngst die Büste Hans Böcklers im Kreuzberger Böcklerpark oder die Hand-Skulptur in Tiergarten, die an der Kreuzung Altonaer Straße/Lessingstraße stand. Beide mussten jahrelange Verschandelungen über sich ergehen lassen, haben Wind und Wetter getrotzt, bis sie dem Verfall – und den Metalldieben – nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Heute erinnern nur noch die mit Absperrgittern umstellten Sockel daran, dass hier einmal ein Kunstwerk gestanden hat – das leider niemandem die Instandsetzungskosten wert war.

Für den Bronzeobelisken gibt es derweil Hoffnung auf neuen Schimmer: Die Reparatur sei in Vorbereitung, sagte die Senatsverwaltung dem Tagesspiegel. Bis September dieses Jahres wolle man die Stele erneuert haben. Heinz Mack glaubt das erst, wenn er es sieht.

Weitere Informationen über Möglichkeiten, sich zu engagieren, gibt es im Internet unter www.denk-mal-an-berlin.de und www.denkmalschutz.de.

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