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Er glaubt an die Verständigung. Dirigent Daniel Barenboim.

© Monika Rittershaus

West-Eastern Divan Orchestra: Verständigung mit Tschaikowski

Im West-Eastern Divan Orchestra spielen Palästinenser und Israelis gemeinsam. Ein Probenbesuch vor dem Konzert in der Berliner Waldbühne.

Wenn das West-Eastern Divan Orchestra am Sonntag in der Waldbühne auftritt, wird David Strongin besonders an eines denken: „Die Bühne wurde ja von Hitler gebaut“, sagt er. „Das ist schon ein spezielles Gefühl das gerade wir als Israelis und Palästinenser hier spielen.“ Strongin wurde 1993 in Tel Aviv geboren, seit fünf Jahren spielt er in dem 1999 von Daniel Barenboim und Edward Said gegründeten Orchester Geige.

Der jüdische Dirigent und der palästinensische Literaturwissenschaftler wollten damals mit ihrem Orchester einen Ort des Dialogs und der kulturellen Verständigung schaffen. Seitdem kommen einmal im Jahr junge Musiker aus Israel, Palästina, Ägypten, Syrien und anderen arabischen Ländern zusammen, um zu proben und anschließend auf Tour zu gehen. Unter anderem in Salzburg und London treten sie auf - und eben seit 2011 immer wieder in der Berliner Waldbühne.

Barenboim wettert los

Der Dialog mit den Kollegen ist Astrig Siranossian besonders wichtig. Die 29-jährige Cellistin spielt beim West-Eastern Divan Orchestra mit Menschen zusammen, die ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht haben: Sie hat armenische Wurzeln, ihre Familie ist von dort über Syrien nach Frankreich geflohen. „Hier treffe ich Leute, mit denen ich teilen kann, was mir und meiner Familie passiert ist.“ Die Konzerte spielen für sie im Vergleich zu anderen Orchestern eine relativ kleine Rolle. Das Miteinander, das gegenseitige Verständnis stehen im Vordergrund.

Dass aber auch die Musik sehr ernst genommen wird, ist später bei der Probe im Pierre Boulez Saal zu erleben. Obwohl das Orchester Claude Debussys Tondichtung „La Mer“ sehr ordentlich spielt, verweilt fast permanent eine Zornesfalte auf Daniel Barenboims Gesicht. „Es geht immer extrem diszipliniert zu“, sagt David Strongin. „Barenboim sagt schon mal Leuten, dass sie gehen können, wenn sie nicht voll bei der Sache sind.“ Und genauso kommt es dann auch. Einige Musiker haben eine Passage nicht ganz sauber gespielt, da wettert Barenboim los. Sie sollen bitte den Saal verlassen, ruft er, alle anderen würden unter ihrer mangelnden Professionalität leiden.

Eine ganz spezielle Interpretation

Ausbrüche wie dieser sind jedoch kein Grund für Strongin, seinen Maestro nicht trotzdem zu verehren. „Barenboim holt das Bestmögliche aus uns heraus.“ Und Siranossian betont abermals, dass ihr nicht nur die musikalische Entwicklung wichtig ist. Sie genießt es auch einfach, Barenboim reden zu hören: „Er öffnet unsere Ohren, Augen und unseren Geist.“ Beide sind begeistert, was der Dirigent mit Musikerinnen und Musikern schafft, die sich auf ganz unterschiedlichen Levels bewegen. Das Alter der Mitglieder liegt zwischen 14 und 25 Jahren, es gibt sowohl Profi- als auch Amateurmusiker im Orchester. „Und am Ende spielen alle fantastisch zusammen“, schwärmt David Strongin.

Am Sonntag wird das West-Eastern Divan Orchestra außer Debussy das Violinkonzert von Tschaikowski spielen, zusammen mit der georgischen Geigerin Lisa Batiashvili. Ihre und Barenboims Interpretation des russischen Komponisten sei etwas ganz Spezielles, sagt David Strongin. Der Dirigent würde ihnen die musikalische Sprache des Komponisten beibringen. „Ich habe das Stück schon 1000 Mal gehört, trotzdem bin ich jedes Mal wieder beeindruckt.“

Ein Symbol des Friedens

Aber kann klassische Musik von Debussy und Tschaikowski wirklich zur kulturellen Verständigung beitragen? Vermag sie das Denken der Menschen über den Nahost-Konflikts zu ändern? Die beiden Musiker beantworten das mit einem klaren Ja. „Musik berührt alle“, sagt Strongin. „Sie kann etwas in den Menschen verändern, weil jeder durch sie bewegt wird.“ Genau das sehen er und Siranossian auch als ihre Aufgabe: mit der bloßen Existenz des Ensembles zu beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, Menschen, die durch scheinbar unüberbrückbare politische Differenzen getrennt sind, mit einem gemeinsamem Ziel zusammenzubringen. „Wir als Orchester sind ein Symbol des Friedens. Es gibt dieses Projekt seit fast 20 Jahren, deswegen scheint es selbstverständlich, was wir hier machen. Aber das ist es nicht.“

Beim Konzert in der Waldbühne werden rund 20 000 Zuschauer anwesend sein, um das West-Eastern Divan Orchestra zu hören - deutlich mehr, als in die Konzerthäuser passen, die es sonst bespielt. Astrig Siranossian und David Strongin sehen den Abend als Chance: Hier können sie mit ihrer Botschaft mehr Menschen als irgendwo anders erreichen.

Waldbühne, 19. August, 19 Uhr, Karten ab 21€, www.waldbuehnenkonzert.de

Elias Pietsch

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