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Zweite Geige: Robert (Philip Seymour Hoffman) hilft seiner Tochter (Imogen Poots) beim Umzug nach New York.

©  Senator

Im Kino: "Saiten des Lebens": Verstimmter Vierer

Die hehre Kunst, das ist das eine. Dahinter verbergen sich nur allzuoft die ganz normalen Eifersüchteleien des Alltags - wie jetzt das Kinomelodram „Saiten des Lebens“ am Beispiel eines Streichquartetts vorführt.

Drei Dinge sind im Kino immer real: Kleinkinder, Tiere und Musiker. Das Lachen des Säuglings, das Tollen des Hundes, das virtuose Spiel auf Tasten und Saiten, es lässt sich nicht fingieren. Nichts peinlicher als ein Filmheld mit Instrument, der so tut als ob.

Und jetzt auch noch ein All-Star- Streichquartett. Christopher Walken ist das Cello, Catherine Keener die Viola, Philip Seymour Hoffman die zweite Geige (natürlich mit Minderwertigkeitskomplex), Mark Ivanir die erste. Ihr New Yorker Ensemble, das Fugue String Quartet, existiert seit 25 Jahren. Zum Jubiläum wollen sie Beethovens spätes Streichquartett op. 131 cis-Moll aufführen, jenes alle klassischen Formen sprengende siebensätzige, epische Werk, das der taube Komponist selbst nicht mehr gehört hat und dessen Finalsatz Richard Wagner den „Tanz der Welt selbst“ nannte. Aber Christopher Walken, ausnahmsweise mal kein Psychopath, sondern väterlicher Melancholiker und Kopf der Truppe, gehorchen die Finger nicht mehr. Diagnose: Parkinson, Frühstadium. Die Folge: Alte Affären und Animositäten, Eifersüchte, Obsessionen und Machtkämpfe treten zutage, jede Probe eine Krisensitzung, ein musikalisch-seelischer Aufruhr.

Wobei Regisseur Yaron Zilberman, bisher Dokumentarist, für Glaubwürdigkeit sorgt, indem er bei mehreren Streichquartetten recherchierte (bei Guarneri, Emerson und dem Italian String Quartet), außerdem filmte er Ensembles an der New Yorker Juilliard School. Obendrein gleichen sich seine Filmbilder der Erlesenheit von Kammermusik kongenial an: Gruppenpsychodynamik ja, aber bitte im großbürgerlich-gediegenen Ambiente von Manhattan, Upper East Side. Und die Peinlichkeit des Fakemusizierens hält sich in Grenzen; für die kurzen Passagen in Nahaufnahme haben die Schauspieler tüchtig geübt, mit mehreren Lehrern und Videokonsole.

Die Viola und die zweite Geige sind verheiratet, ihre sexy Tochter (Imogen Poots) bandelt mit dem Primgeiger an, während Philip Seymour Hoffmann mit einer Flamencotänzerin fremdgeht und Catherine Keener ihre Jugendliebe zum Cello aufleben lässt, das sich wiederum mit der Exgeliebten, einer Sängerin, trifft (die Sopranistin Anne Sofie von Otter). Schluss machen oder ein neues Cello suchen? Schwere Entscheidung. Obendrein streiten die Konservativen mit den Rebellen über die Frage des Auswendigspielens und darüber, ob erste und zweite Geige sich abwechseln dürfen. Mit anderen Worten: der ganz normale Musikerwahnsinn.

Dass alle Sätze von op. 131 attacca zu spielen seien und die Instrumente über die 40-minütige Dauer des Werks zwangsläufig verstimmen, wobei man dennoch harmonieren müsse, wie Christopher Walken eingangs erklärt, taugt natürlich perfekt als Sinnbild für das jahrzehntelange Zusammensein von Paaren, Freunden, Kollegen. Aber es ist Unsinn: Auch zwischen den Sätzen anderer Streichquartette wird ungern nachgestimmt, von Symphonien zu schweigen. Was soll’s: So viel Methapher muss sein, Klassik vor laufender Kamera gibt’s im Kino schließlich selten genug. Den vorzüglichen Soundtrack spielte übrigens das Brentano String Quartet ein.

Adria, Cinema Paris, Cinemaxx Potsdamer Platz, FT am Friedrichshain, Kino in der Kulturbrauerei, Passage, OmU: Odeon

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