zum Hauptinhalt

Kultur: Verstrickt

Musikfest: Nagano und das Bayerische Staatsorchester

Wieder der Radioeffekt bei Luciano Berio: das Switchen durch die Kanäle, die Simultaneität von Musiken, die nichts voneinander wissen und doch infiziert sind vom jeweils anderen Treiben. Dein Puls, mein Impuls: In Berios „Concerto für zwei Klaviere und Orchester“ werfen zunächst die Solisten (passioniert: Andreas Grau und Götz Schumacher) ihre engmaschigen chromatischen Netze aus, die sich verdichten und verknoten, bis das Orchester ins Crescendo mit einsteigt. Eruptive Phasen wechseln mit melodiösen Passagen, aufflackernde Gesangslinien, messerstichige Violin-Attacken à la „Psycho“ und die sturen Staccato-Akkorde der Klaviere werden unentwegt von Fieberwellen überrollt oder von undurchdringlichem Klanggestrüpp überwuchert.

Kent Nagano und sein Bayerisches Staatsorchester machen daraus eine bezwingende Etüde über Vergeblichkeit, Verwirrung und Verstrickung – und über das Primat des Kollektivs, dem der Einzelne sich fröhlich unterwirft und sich doch nie restlos fügen mag. Verstrickung ist überhaupt das heimliche Motto des Musikfest-Abends in der Philharmonie. Richard Strauss schrieb seine „Metamorphosen“ für 23 Solostreicher Anfang 1945, als Europa in Schutt und Asche liegt und der Naziwahn seine letzten mörderischen Exzesse auslebt. Strauss, Präsident der Reichsmusikkammer, notiert „In Memoriam!“ auf der letzten Partiturseite und lässt die Bässe den Trauermarsch der Eroica zitieren. Gilt das Hitler? Dem Untergang des Abendlandes? Ist es Selbstmitleid? Diese Musik schwitzt aus allen Poren. Beethoven-Anklänge, Wagners unendliche Melodie, dennoch bleibt das Werk amorph, zerquält – und Nagano macht keinen Hehl daraus.

Die in ihrer Unbeseeltheit höchst agile Kreatur: Davon erzählt Strawinskys ebenfalls zitatenreiche Ballettmusik „Petruschka“. Das ist er wieder, der Hochpräzisionsmusiker Nagano, wie die Berliner ihn aus seiner Zeit als DSO-Chef kennen. Nagano macht Tempo, das Orchester folgt ihm mühelos (allen voran die vorzüglichen Holzbläser) und bettet die Geschichte von der Marionette und dem Mohren, der ihm die Ballerina abspenstig macht, in die Kakophonie des Jahrmarktbudenzaubers. Keiner wilden Horde fällt Petruschka hier zum Opfer, sondern einer bis in den letzten Seufzer der Klarinette, die derben Tänze des Fagotts und die Streicher-Pizzicati akkurat durchorganisierte Apparatur. Kalte Ekstase, eisig funkelnde Klangpracht. Nagano stürzt sich ins Getümmel und bleibt kühler Analytiker: Diesem Strawinsky kann man nicht vorwerfen, dass er die Stimmung aufheizt und den Pöbel aufhetzt. Christiane Peitz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false