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Kultur: Verteidigung der Unvernunft

Kunst und Geld (3): Wie kleine Berliner Literaturverlage den Markt erobern. Ein Besuch bei kookbooks und diaphanes

Daniela Seel bezahlt für ihr Verlagsdomizil monatlich 314 Euro Miete. Dazu kommen Strom, Gas und Kohlen für den Kachelofen. Eine komfortable Situation, findet sie – zumal ihr die Räume auch als Wohnung dienen. Bis heute pendelt die Jungverlegerin zwischen Berlin und Idstein im Taunus. Dort, im Haus ihrer Großmutter, befindet sich der Sitz ihrer Firma. Sie heißt kookbooks und ist ein in der Branche äußerst angesehenes Kleinunternehmen.

Wann immer von innovativen Verlagen die Rede ist, fällt auch der Name kookbooks. Er steht für neue Lyrik und exquisites Buchdesign. Seit der Gründung vor drei Jahren werden die Bücher in den Feuilletons gefeiert, Autoren wie Daniel Falb, Ron Winkler oder zuletzt Uljana Wolf fahren renommierte Preise ein. Im Frühjahr wurde kookbooks mit dem KurtWolff-Förderpreis ausgezeichnet. Zum Lebensunterhalt reicht es trotzdem kaum. Die 31-jährige Verlegerin arbeitet zusätzlich als freie Lektorin und Korrektorin.

Diese Form privater Mischkalkulation ist auch Michael Heitz (Jahrgang 1969) nicht fremd. Vor sechs Jahren gründete er den diaphanes Verlag und publiziert Bücher über Philosophie, Kunst- und Medientheorie. Feinster Denkstoff aus Frankreich und Italien, nicht gerade für den schnellen Konsum bestimmt. Etwa 80 Titel kann er sich bereits ins Regal stellen, darunter Schwergewichte der politischen Philosophie wie Giorgio Agamben oder Jean-Luc Nancy. Doch weil sein Verlag nicht profitabel arbeitete, hat er sich lange als Webdesigner über Wasser gehalten.

Wer heute ins Verlagsgeschäft einsteigt, tut das weniger des Geldes wegen. Wenn hier etwas akkumuliert wird, dann zunächst symbolisches Kapital – das sich später eventuell in klingende Münze verwandelt. Doch wer Verlage wie diaphanes oder kookbooks gründet, weiß, was er will. Als Verleger, sagt Heitz, steht man auf der Angebotsseite. Man produziert nicht, wonach der Markt verlangt, sondern möchte verkaufen, was man für unverzichtbar hält. Bei ihm sind das Bücher über „Das ästhetische Unbewusste“ oder die „Unvernunft der ökonomischen Vernunft“, bei Seel sind es Gedichte, Essays oder experimentelle Kurzprosa.

Davon, dass sie Spartenprogramme für eine bestimmte Zielgruppe produzieren, wollen beide nichts wissen. Heitz ist sicher, dass man seine Verkaufszahlen in Frankreich oder Italien getrost mit zehn multiplizieren könnte. In Deutschland sieht er das Interesse an Philosophie und Theorie langsam wieder erwachen. Und Daniela Seel räumt ein, dass es für ihre Bücher „vielleicht 500 genuine Leser“ gibt – „aber mehr gibt es für Arno Schmidt auch nicht“. Die Kunst bestehe darin, 2000 Käufer zu finden. Wie das geht? Zum Beispiel über neue Vertriebswege. Weite Teile des Buchhandels, vor allem große Ketten mit ihren Filialen, sind den Kleinunternehmen verschlossen. Also wappnet sich die kookbooks-Chefin mit einer Bücherkiste und einem Tapeziertisch und geht zu ihren Lesern, in Galerien oder zum alternativen Weihnachtsmarkt. Mit solchen „Marketender“-Aktionen hofft sie, „Leute wieder für Bücher zu gewinnen, die buchfern sind, weil sie vom gegenwärtigen Buchhandel nicht mehr erreicht werden“.

Über Enthusiasmus muss also nicht geredet werden, der versteht sich von selbst. Auch sollte man Wörter wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld aus seinem Vokabular streichen. „Wir leben sehr bescheiden“, sagt Heitz. Er besitzt weder Auto noch Lebens- oder Hausratsversicherung. Dazu kommt der Glaube an Nachhaltigkeit, an die dauerhafte Zusammenarbeit mit Autoren. Irgendwann will er nicht mehr auf den Verkauf von Neuerscheinungen angewiesen sein, irgendwann soll die Backlist der bereits publizierten Titel greifen. Doch hier liegt das Problem. Um die Durststrecke bis zur Rentabilität durchzustehen, braucht es Geld.

Als er anfing, erzählt Heitz, verfügte er über keinerlei Kapital. Ein halbes Dutzend Business-Pläne hat er geschrieben. Vergebens. „Einer Bank“, meint er, „gibt bedrucktes Papier weniger Sicherheit als unbedrucktes.“ Finanzielle Unterstützung bekommt, wer Investitionen tätigt. Das kann ein Verleger nur sehr eingeschränkt. Er braucht Betriebsmittel, also Geld für laufende Kosten wie vor allem den Druck oder die Präsentation auf Messen. Mittlerweile besitzt diaphanes zwei Standbeine, eins in Berlin, das andere in Zürich. Dort hat Heitz – ohne die bürokratischen Hindernisse, auf die er in Deutschland stieß – die schweizerische Säule seines Verlags als Aktiengesellschaft gegründet. Die Geschäftsform erlaubt die Beteiligung von Freunden, die ihm in der Gründungsphase Geld vorgeschossen haben. Mit seiner AG glaubt er, „in diesem Kapitalismus mitspielen“ zu können.

Als Freak, der das Büchermachen aus reiner Liebhaberei betreibt, versteht er sich nicht. Auch Daniela Seel weiß, dass es mit hübschen Gedichten nicht getan ist. Die gelernte Verlagskauffrau, die aus einer Familie von Steuerberatern stammt, kennt sich in betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen aus. Aber Kredite bekam auch sie nicht. Denn für einen Kredit muss man positive Bilanzen und einen kontinuierlichen Betriebsgewinn vorweisen – unmöglich für Jungverleger. „Motivierte Gründer“, sagt sie, „werden von den Banken nicht unterstützt.“ Nur die staatliche Förderung als Ich-AG hat sie in Anspruch genommen. Wer dennoch mitten in die Buchmarktkrise hinein einen Verlag gründet, sollte schon mit ihrer Überzeugung sagen können: „Ich will es tun.“

Natürlich hat dieser Wille in der Praxis viel mit Selbstausbeutung und Selbstüberforderung zu tun. Während ein Verlag für gewöhnlich aus den Abteilungen Lektorat, Herstellung, Vertrieb und Presse besteht, verteilt sich die Arbeit bei kookbooks auf Daniela Seel und ihren Grafiker Andreas Töpfer, bei diaphanes arbeitet neben Michael Heitz nur die Übersetzerin und Lektorin Sabine Schulz. Größere Verlage weiten auf der Suche nach dem Bestseller der Saison ihre Programmpalette aus und verlieren dabei an Profil. So wollen und können diaphanes oder kookbooks kein Geld verdienen. Mehr noch: Sie versuchen, von den Praktiken der Kollegen zu profitieren. „Ich bin der vernachlässigte Leser“, erklärt Daniela Seel und fügt selbstbewusst hinzu: „Wenn die Verlage denken, sie bräuchten sich nicht für mich zu interessieren, dann nehme ich es eben selbst in die Hand.“

Im Verteilungskampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit punkten die Kleinen immer öfter. Sie reden von „poetischer Forschung“ oder davon, schwierige Bücher zu machen, „weil die Wirklichkeit eben manchmal schwierig ist“. Aber sie vergessen darüber nicht die ökonomische Geschäftsgrundlage. „Der Inhalt“, sagt Michael Heitz bestimmt, „ist unser Kapital.“ Daniela Seel spricht von ihrem „Autorenstammkapital“. Den Gegensatz von Literatur und Geld hat die Popkultur der letzten Jahre ohnehin aufgelöst. Doch dass diese wichtigen Medien der Gegenwart nicht auf Kriegsfuß miteinander stehen müssen, wusste schon Goethe, immerhin einst Finanzminister in Weimar: „Nur die Lumpe sind bescheiden / Brave freuen sich der Tat.“

Bisher erschienen: Bildende Künstler in Zeiten von Hartz IV (13. 7.), Unternehmensberater bei den Bamberger Symphonikern (21. 7.). Als Nächstes: Von der Kunst, das eigene Werk zu vermarkten

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