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Kultur: Verwandlung!

Salzburger Festspiele: Auch im fünften Jahr gibt Achim Freyer Mozarts „Zauberflöte“ die Unschuld zurück

An der Rampe stehen zwei Paar weiße Stiefel. Tamino und Pamina haben sie abgelegt, um sich der Feuer- und der Wasserprobe schutzlos zu stellen. „Die Zauberflöte“ unter Achim Freyers Regie spielt im Zirkus, aber es ist ein Zirkus der tieferen Bedeutung. Das weiße Schuhwerk, das am Manegenrand den Suizidversuch des Vogelmenschen Papageno, sein Duett mit der endlich gefundenen Papagena und Sarastros Sonnengesang überdauert, erweckt Rührung als Zeichen von gemeinsam bestandener Prüfung, Mut, Liebe.

Die Verzauberung, die sich in der Felsenreitschule einstellt, obwohl das Konzept fünf Jahre alt und bei den Salzburger Festspielen durch unterschiedliche Räume gewandert ist, hat mit der Kunst des Unvorhersehbaren zu tun. Freyer, der Theater-Rattenfänger, trifft auf den Vorstadtpoeten Emanuel Schikaneder, und erneut dürfen „die Schauspieler die Ehre haben“, wie damals in Wien, eine große Oper in zwei Akten aufzuführen: „Die Musik ist von Herrn Wolfgang Amadé Mozart.“ Freyer inszeniert nicht Musiktheater, sondern Musik und Theater.

Daher spielt das Feyer-Ensemble in Gestalt von Clowns, Damenkörpern, wilden Tieren, Ringkämpfern und Doubles eine essentielle Nebenrolle. Ein Geiger kratzt stumm auf seinem Instrument, wie ein Zitat aus einer anderen (Feyer-)Inszenierung. Wir wissen auch, dass die Königin der Nacht im Mond wohnt und Sarastro im magischen Auge der Zirkuskuppel, um sich am Ende als dessen Direktor zu outen.

Soweit die Erinnerungen des Zuschauers, der die Interpretation schon gesehen hat. Ein neuer Papageno tritt auf: Simon Keenlyside, geschmeidiger Bariton und Artist dazu. Auf dem Zauberfahrrad rollt er mit der Mutter seiner zahlreichen zukünftigen Kinder davon. Die Doppel-Papagena gefällt dem Publikum ganz besonders: Britta Stallmeister singt, während Martina Jankov  die Rolle trotz Erkrankung mit äußerst beteiligtem Charme spielt. Das Staunen über dieses gelungene Nebeneinander von Humanitätsideal, hoher Liebe und Ausstattungskomödie der Gattung Maschinentheater erneuert sich mit der Frische der Aufführung.

Eine Regieanweisung, die im Buch immer wieder vorkommt, heißt: „Das Theater verwandelt sich...“ In diesem Fall: in eine Manege mit Sternenkuppel. Trotzdem dominiert mehr und mehr, was unvorhersehbar schien: die drei fabelhaften Tölzer Knaben als Spielmacher; der Totenschädel in Paminas Händen (Barbara Bonney mit hell leuchtendem Sopran). Und dass Tamino (Rainer Trost stimmlich in Form wie zu alten Zeiten) mit der Geliebten auf dem Wasser eines Badepools schreitet, dass die goldblitzend geharnischten Männer nicht zur gängigen Übergröße tendieren, sondern eher die Höhe von Liliputanern aufweisen – Freyer behält sich vor zu verblüffen. „Man bringe Paminen!“, so fordert Sarastro (Alfred Reiter mit jugendlich lyrischem Baß) aus dem Kuppelauge, und die Weiträumigkeit der Aufstellung trägt dem Terzett „Soll ich dich, Teurer nicht mehr sehn?“ einen Spaltklang neuer Deutlichkeit ein. Diana Damrau als Königin der Nacht mit Robert Wörle in der Rolle ihres Dieners Monostatos bieten Glanzlichter in einem insgesamt Festspiel würdigen Ensemble. Es wird von den Wiener Philharmonikern getragen, die nur manchmal ein wenig zurückstehen, weil der junge Dirigent Bertrand de Billy vor allem ein Partner der Sänger sein will.

Inniger kann kein Liebender seiner Pamina zuhören als dieser Tamino in der Nachahmung ihrer Motionen, fröhlicher kann kein Genießer zwei Gläser roten Götterweins an die Brust pressen als dieser Papageno. Freuen wir uns, dass Achim Freyer dem bemäkelten Stück die Unschuld zurückgeholt hat. Sybill Mahlke

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