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Kultur: Verwegene Litaneien

hört dem Singen der Dichter zu Noch herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Die Bücher der Herbstsaison sind längst angekündigt, Rezensionsexemplare verschickt, Kritiker spitzen die Bleistifte.

hört dem Singen der Dichter zu Noch herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Die Bücher der Herbstsaison sind längst angekündigt, Rezensionsexemplare verschickt, Kritiker spitzen die Bleistifte. Nur der Lesebetrieb hält sich noch zurück. Das gibt Gelegenheit, sich ein paar Dingen zu widmen, die in der Geschäftigkeit der kommenden Wochen untergehen könnten. Zum Beispiel das Gedicht.

Gedichte, so scheint es manchmal, werden vor allem von Leuten gelesen, die auch welche schreiben. Dabei kann man nicht sagen, dass Lyrik keine Lobby hätte. So läuft im Literarischen Colloquium seit dem Frühjahr die experimentelle Reihe „Wort Musik“. Dabei kann man lernen, dass Gedichte sich durchaus nicht von der Wirklichkeit entfernen, sondern oft schnurstracks ins pralle Leben führen. Etwa nach Südostasien wie bei Brigitte Oleschinski. In „Geisterströmung“ (DuMont) jedenfalls werden sämtliche Sinne durchbuchstabiert, auf der Suche nach dem „Essentiellen jeden Augenblicks“. „Die letzten Wanderer“, heißt es da, „werden Gedichte sein, in der weglosen Landschaft / zerfallener Dateien, verwegene Litaneien / auf rauen, rohen Fege- / füßen.“ Wer wissen möchte, „Wie Gedichte singen“, sollte sich am heutigen Dienstag (20 Uhr) zur Wort Musik ins LCB begeben (Am Sandwerder 5, Zehlendorf). Dort bestreiten Brigitte Oleschinski und Monika Rinck („Verzückte Distanzen“, Klampen Verlag) ein eigens für diesen Abend zusammengestelltes Wort-Musik-Programm.

Zu den Vorteilen des Sommerlochs zählt außerdem, dass man sich über wichtige Autoren beugen kann. Franz Fühmann (1922 – 1984) ist so einer. Obwohl weder ein runder Geburts- noch Todestag ansteht, gönnt sich das Brecht-Haus (Chausseestr. 125, Mitte) den Luxus einer einwöchigen Hommage. Der Sohn eines böhmischen Apothekers war durch HJ, SA und Wehrmacht gegangen, bevor er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft eine „moralische Katharsis“ erfuhr. Immer wieder hat er darüber nachgedacht, was es bedeutet, nicht über Klassenkampf oder Marxismus, sondern „über Auschwitz in die andere Gesellschaft“ gelangt zu sein („Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“, 1973). Bald setzten ihm aber die „gestockten Widersprüche“ der DDR-Gesellschaft zu, und er rieb sich auf „zwischen Dichtung und Doktrin“ („Vor Feuerschlünden. Erfahrungen mit Trakls Gedicht“, 1982). Dennoch hat sich Fühmann vehement für Autoren wie Wolfgang Hilbig oder Uwe Kolbe eingesetzt, bis er resigniert in seinem Refugium in Märkisch-Buchholz starb. Am Beginn der Fühmann-Woche mit Lesungen, Filmen, Diskussionen steht am Montag, 22.8., (20 Uhr) ein Gespräch zwischen Christa Vetter , Dietrich Simon und Wieland Förster .

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