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Kultur: Verzweifelte Zähmung

Karl Heinz Metz untersucht die Geschichte der Gewalt – und findet darin Handlungsanleitungen für die Zukunft.

Wer dieses Buch gelesen hat, dürfte nur noch schwer an Friedenssicherung durch UN-Einsätze oder den Erfolg von „Nation Building“ durch Nato- oder EU-Operationen glauben. Denn es macht unmissverständlich klar, was angesichts der Dauerbeschallung durch „Breaking News“ erst bei Libyen und nun bei Syrien kaum Beachtung findet: In der Geschichte war und ist immer Gewalt – und immer das Streben nach Frieden. Daher beleuchtet diese historische Gesamtdarstellung des Gewaltphänomens von Karl Heinz Metz eine Urfrage der Menschheit. Aus ihr sieht der Neuere Geschichte in Erlangen-Nürnberg lehrende Historiker sowohl alle Religion und Politik hervorgehen: „Die Religion als Versuch einer symbolischen Antwort auf die Frage, warum die Menschen die Gewalt nicht loswerden, die Politik als Versuch einer praktischen Bewältigung der Gewalt durch eine Herrschaft, die sie zu zähmen vermag.“

Und doch verschwindet die Gewalt nie, wie Metz deutlich vor Augen führt: weder im Staat, der ohne Drohung und Gewalt den Frieden im Inneren nicht zu sichern vermag und Gewalt im Äußeren als Krieg oft exzessiv nutzt, noch in der Religion, die gleichfalls meist gewalttätig wird, sobald sie versucht, Gesellschaften nach ihren Werten zu ordnen. So verwundert es kaum, dass alle großen Versuche, den Frieden unter den Menschen dauerhaft werden zu lassen, gescheitert sind.

Doch trotz dieser weder überraschenden noch optimistisch stimmenden Bilanz stirbt auch hier die Hoffnung zuletzt. Denn die Hoffnung auf Frieden ist nach Metz’ Langzeituntersuchung die größte von allen, „so wie die Furcht vor Gewalt die größte ist“. Ohne sie, vermutet Metz zu Recht, gäbe es die Menschheit wahrscheinlich nicht mehr. Was das Phänomen der Gewalt aber erst zu einem solchen macht, ist die sich durch die Jahrhunderte parallel zur Friedenssehnsucht ziehende Existenz von Gewalt und ihre Rühmung, von der Apologie des Krieges bis zu ihrer Preisung als „Geburtshelferin“ einer neuen Gesellschaft, in der die „neuen“ Menschen dann friedlich zusammenleben würden – eine Argumentation, die sich nicht zuletzt in den Bundestagsdebatten über die immer wieder neue Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr spiegelt.

Am Hindukusch und auch in Nordafrika lässt sich auch beobachten, was Metz als die „Utopie des technologischen Krieges“ bezeichnet: der irrige Glaube, durch Technologie ließe sich das Ziel aller Waffen – aus der Distanz zu vernichten – erreichen. Zwar entwickelten sich historische Fernwaffen wie Pfeil und Bogen, Armbrust und schließlich Gewehr zu modernen Trägerwaffen wie Bomber, Rakete und Drohne. Aber die Annahme, damit könne der Feind vollkommen anonym werden und unmittelbare Emotionen des Tötens wie Wut, Angst und Blutrausch sowie die Gefahr des Getötetwerdens kaltgestellt und in Ideologie und Bürokratie überführt werden, scheitert spätestens dann, wenn der Feind sich dem technologisierten Krieg verweigert. So weiß der Partisan, dass er siegt, indem er alles negiert, was den Gegner ausmacht: seine Technologie, Organisation und Moral.

Wie wird die Gewaltgeschichte des 21. Jahrhunderts aussehen? Metz formuliert Thesen, die vor dem Hintergrund seiner Jahrtausende übergreifenden Untersuchung von Gewalt überaus realistisch erscheinen, gerade weil sie nicht der immer noch weit verbreiteten Erzählung vom Ende der Geschichte und damit auch des klassischen Krieges folgen: Zwar ist die Gefahr der „großen Kriege“ gering geworden und die des nuklearen Weltkrieges zwischen Supermächten geschwunden. Aber Staatenkriege bleiben weiterhin möglich – als Interventionskriege wie im Fall Libyens und als Konflikte benachbarter Staaten. Und diese Kriege können – wie im westlichen Feldzug gegen Gaddafis Regime erneut zu beobachten – durchaus weltweite Auswirkungen verursachen, indem Rohstoff- und Handelswege gestört oder terroristische Aktivitäten gefördert werden.

Parallel wird sich die Auflösung der regulären kriegerischen Gewalt in verschiedenste Formen des Irregulären fortsetzen. Hierzu zählt Metz den Staatszerfall in afrikanischen und asiatischen Ländern ebenso wie den Terrorismus in den westlichen Staaten. Für die terroristische Bedrohung des Westens gilt nach seiner Analyse, dass die Integration der eingewanderten Bevölkerung bei gleichzeitiger Begrenzung weiterer starker Zuwanderung die Chance erhöht, den Frieden in der Gesellschaft zu wahren und den Terrorismus verächtlich werden zu lassen.

Das westliche Militär wird sich in der Folge neu erfinden müssen – aber nicht in der Art und Weise, wie es die Strategie hinter den aktuellen Reformen der Bundeswehr und ihrer Nato-Partner vorgibt. Zwar ist auch nach Ansicht von Metz die Zeit der Massenheere vorbei. Aber – und das wird in den derzeit euphorisch vorangetriebenen Umbauvorhaben der europäischen und amerikanischen Streitkräfte oft übersehen – Interventionskriege des „missionarischen“ Typs wie in Afghanistan sollten die neuen Armeen klugerweise ebenso wenig führen wie ihre Vorgänger, sondern über direkte wie indirekte Unterstützung von Bürgerkriegsparteien gegebenenfalls durch Stellvertreter Ermattungskriege führen lassen. Dieses Szenario ist in Libyen bereits Wirklichkeit geworden, wo zwar Luftangriffe Gaddafis Truppen geschwächt hatten, ein Kampfeinsatz von Bodentruppen aber unterlassen wurde. Die Infanterie stellte vielmehr die libysche Opposition.

Indem Metz die Mechanismen von Gewalt und ihre Muster in Krieg, Revolution und Terror systematisch herausarbeitet, gelingt ihm etwas, das Seltenheitswert bei historischen und politischen Büchern hat: Es lassen sich Handlungsempfehlungen ableiten, die in Politik umsetzbar sind. Wer immer noch glaubt, aus der Kriegsgeschichte lasse sich nichts lernen, weil die Umstände des politischen und militärischen Handelns immer andere waren, sollte dieses kluge Werk lesen.

Karl Heinz Metz: Geschichte der Gewalt. Krieg, Revolution, Terror. Primus Verlag, Darmstadt 2011. 320 Seiten, 29,90 Euro.

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