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Nähe, aber bitte mit Abstand. In dem Video „Silver Lining“ erzählen Berliner Singles über ihre Vorstellungen vom Traumpartner.

© Haus am Lützowplatz

Videokunst: Eifersucht muss sein

Küsse und Kompromisse: Die Videokünstlerin Bettina Disler fragt Berliner Singles nach der Liebe und belauschte Paare. Die Ergebnisse sind im Haus am Lützowplatz zu sehen.

Irgendwann hat sie auf der Straße Paare beim Küssen unterbrochen. Jemand musste doch mit ihr reden wollen. Über die Liebe. „Wollt ihr in meinem Film mitmachen?“, fragte Bettina Disler. Man kann sich vorstellen, wie die Künstlerin vor den verdutzten Liebenden stand, mit großer Entschlossenheit für das, was sie sich vorgenommen hat. Die Recherche im Internet war zäh gewesen, auf ihren Suchaufruf nach „stark verliebten Berlinern“ reagierten nur frustrierte Singles.

Die Kamera hält auf glühende Ohren und tastende Fingerspitzen, auf Mundwinkel, die zucken, weil aus dem schmalen Lächeln ein breites Glücksgrinsen werden möchte. Am Ende hat die 37-jährige Schweizer Videokünstlerin dann doch ihre Paare gefunden. Zu sehen ist das Video als eines von dreien über die Liebe in ihrer Ausstellung „Me and maybe you“ im Haus am Lützowplatz.

„Ich bin so froh, mit Dir zusammen zu sein“, sagt eine junge blonde Frau im Video. Der Mann antwortet nicht. Bettina Disler hatte den einen Partner vorab gebeten, ein Kompliment zu machen, und den anderen, nicht darauf zu reagieren. Das wissen sie nicht voneinander. Und so schwebt die Liebe ohne Bestätigung im Raum zwischen ihnen. Ohne Reaktion muss man auf die Gefühle des anderen vertrauen. Sie werden schon stark genug sein. Oder doch nicht? Warum antwortet er nicht, warum antwortet sie nicht? Die Augen der jungen Frau wandern suchend im Gesicht ihres Freundes herum, wahrscheinlich kennen die beiden sich noch nicht so lange.

Bettina Disler macht sichtbar, was sonst nur fühlbar ist. „Ich wollte die Energie von Verliebten auf die Betrachter übertragen“, sagt die Künstlerin. Manchmal war es ihr hinter der Kamera richtig unangenehm, so intim waren die Momente. Auch als Zuschauer pendelt man zwischen echter Berührtheit und dem Gefühl, unhöflicherweise zu lauschen.

Ein Film über Liebe bezieht das Verschwinden mit ein. Und dennoch bekommt Bettina Disler immer wieder anonyme E-Mails, in denen sich Besucher ihrer Ausstellung für den schönen Film bedanken. Ob das hoffende Singles sind?

Derer hat sich Bettina Disler schlussendlich auch angenommen. „Ich wünsche mir ganz viel Aufmerksamkeit. Nein – die richtige Dosis an Aufmerksamkeit zum richtigen Zeitpunkt“, sagt die junge Frau mit dem schwarzen Pony und den roten Lippen. Sie ist eine von sechs Personen im zweiten Film „Silver Lining“, ein strenges tableau vivant Berliner Alleinstehender, die in die Kamera hineinsagen, wie sie sich eine ideale Beziehung vorstellen. Bettina Disler hat sie allein in einem Raum sitzend aufgenommen, später hat sie alle zusammenmontiert. So sitzen sie an einem Tisch und starren den Betrachter an, wenn sie nicht gerade einen Satz sprechen und ihr Innerstes öffnen.

„Das ist wie das Genießen eines luxuriösen Parfüms, das man aber jeden Tag aufsprüht“, schwärmt einer der Männer.

„Humor muss sein. Ich lache gerne. So gerne wie ich koche“, erzählt eine Frau.

Berlin ist die Hauptstadt der Singles. Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem vergangenen Jahr gibt es hier 54 Prozent Ein-Personen-Haushalte. Deutschlandweit leben etwa 40 Prozent der Menschen allein. Doch mit der Stadt haben die Arbeiten für die Künstlerin nicht unbedingt etwas zu tun. Liebe sei ein universelles Thema. „Es spielt keine Rolle, wo ich mich gerade befinde, ich kann überall Filme machen“, sagt die Künstlerin. Vier Jahre lang hat sie in Berlin gelebt. Demnächst zieht sie für ein Stipendium nach London.

"Eifersucht muss sein, sonst ist es nichts Richtiges"

Ihre Videos gehen über die reine Dokumentation hinaus. Sie wirken fast unwirklich, theatral. Denn Bettina Disler entwirft abstrakte Bühnenbilder und einheitliche Kostüme. Das kommt nicht von ungefähr: Immer wieder macht Disler zusammen mit dem Regiekollektiv Rakete 3 Ausflüge ins Theaterfach. 2005 etwa inszenierte sie an der Deutschen Oper die Kinderproduktion „Das Traumfresserchen“ nach Michael Ende.

Einer der Singles im Video ist Stephan Weitzel, ebenfalls Künstler. Er ist zur Vernissage erschienen, mischt sich unter die Eröffnungsmenge, auch wenn ihn manche schräg anschauen. Ist das der Mann aus dem Film „Silver Lining“? Weitzel erzählt, dass er ziemlich erschrocken sei über die fertige Arbeit. Über diese Menschen, die sich ihm da präsentierten, einschließlich seiner selbst. So deutsch, so verkopft haben sie alle miteinander gewirkt. „Sehen Sie nicht, dass wir in einer Konsumkultur leben?“, fragt er. Die Protagonisten hätten alle ganz konkrete Vorstellungen, als sei der potenzielle Partner eine Ware. Und: „Alle wollen Nähe – aber doch bitte mit Abstand“, resümiert Weitzel. „Paradox, aber doch ein Abbild unserer Gesellschaft.“

Da ist etwas dran. Kaum einer der Besucher im Haus am Lützowplatz geht regungslos an den Videos vorbei, sie schmunzeln, seufzen, ziehen die Augenbrauen hoch. Jeder hätte ein persönliches Wörtchen mitzureden. Und viele fühlen sich zu Kommentaren herausgefordert – sie glauben, die Typen zu kennen, die hier präsentiert werden. Da sagt einer der Singles im Video, ein Mann in grauem Pulli mit kerzengeradem Kreuz, er wünsche sich in der Partnerschaft „große Berechenbarkeit“. Ein junger Zuschauer lacht laut auf: „Klar – und Rentenversicherung und Bausparvertrag.“ Aber wer weiß schon wirklich, wie es geht in der Liebe? Bettina Disler bietet viele Antworten, aber keine Lösungen. Weil es wohl keine gibt.

Zwischenmenschliche Beziehungen beschäftigen die Künstlerin schon länger in ihren experimentellen Filmen. In einer früheren Arbeit entfernte sie aus dem Drehbuch von Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ alle Sätze bis auf die darin fallenden Vorwürfe und ließ dieses Kondensat von einem Mann und einer Frau sprechen. Im Haus am Lützowplatz zeigt die Schweizerin außerdem erstmals Assemblagen: „20 Letters“ hat sie Tafelbilder aus Gips genannt, in die sie Fädengespinste, Wollknäuel und grobe Nähte eingelassen hat – textile Sinnbilder für Beziehungen. Sie kehrt damit zu ihren Anfängen zurück: Bevor Disler Film an der Hochschule der Künste in Zürich, in Sydney und New York studierte, wollte sie Modedesignerin werden.

„Ein bisschen Eifersucht muss sein“, sagt eine ältere Dame im dritten Video „Agape“, in dem Senioren ihr persönliches Geheimnis für eine lange Liebe preisgeben. Vor dem Bildschirm im Ausstellungsraum steht ein Besucherpärchen im Rentenalter. „Ja, eifersüchtig muss man sein, nicht?“, fragt sie ihn. Und er: „Sonst ist es auch nüscht Richtiges.“ Die beiden nicken synchron, tauschen intensive Blicke, halten Händchen. Frisch verliebt? Oder beflügelt die Kunst im Raum? „Wir sind seit eineinhalb Jahren zusammen“, sagen die beiden und lächeln sich wieder an. Die Hände drücken noch fester zu. Es ist die zweite Liebe.

Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 8. April, Di–So 11–18 Uhr

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