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Kultur: „Vielleicht werden wir mal erwachsen“

Booker-Preisträger DBC Pierre über Drogen, Kriminalität und seinen Roman „Jesus von Texas“

DBC Pierre, 42, hat für seinen Debütroman „Jesus von Texas“ (Aufbau Verlag) im letzten Oktober den Man Booker Prize in London erhalten. Jahrelang war er Spiel und Drogen verfallen – eine Sucht, die er schließlich erfolgreich bekämpfte. Der gebürtige Australier – mit richtigem Namen Peter Warren Finlay – gab sich danach das Pseudonym DBC: „dirty but clean“.

Mr. Pierre, Sie haben den mit umgerechnet 72000 Euro dotierten BookerPreis gewonnen. Mit dem Geld wollten Sie Ihre Gläubiger ausbezahlen. Wie weit sind Sie damit gekommen?

Wenn ich Glück habe, schaffe ich es in diesem Jahr. Aber meine Schulden sind weit größer als das Preisgeld.

Wie kam das?

Ich habe versucht, einen Film über Montezumas Goldschatz zu produzieren. Er wurde nie realisiert, aber als Anfänger tat ich alles, um ihn doch noch fertig zu stellen. Leute, die glaubten, ich hätte Talent, liehen mir Geld. Das möchte ich nun gerne zurückzahlen.

Was machen Sie, falls Sie Geld übrig behalten?

Dann würde ich mir gerne ein Bier kaufen. Und eine Armbanduhr mit Zeigern. Ich habe nämlich plötzlich so viele Termine, dass ich zum ersten Mal wirklich eine brauche.

Fühlen Sie sich heute eher „dirty“ oder eher „clean“?

Irgendwo dazwischen. Wenn Sie auf meine Drogenphase hinauswollen: Die ist über 15 Jahre her. Damit bin ich fertig. Also: clean.

Was ist damals passiert?

Ich bin in Mexiko aufgewachsen. Dort ist man entweder sehr arm oder sehr reich. Ich war nicht arm. Folglich hatte ich eine sehr unrealistische Perspektive auf das Leben. Mexiko hat dann drei Vorteile: Drogen sind leicht erhältlich, sie sind rein und billig. Die Nachteile merkt man erst später.

Welche Drogen waren das?

Hauptsächlich Kokain. Ich ging nach Australien, dann nach Eu ropa. Dort waren die Drogen teuer, und ich wurde kriminell: Autohandel, Scheckfälschung, Diebstahl. Dafür habe ich Jahre vor Gericht verbracht. Nachts habe ich Jura studiert – um mich selbst zu verteidigen. Den Prozess habe ich gewonnen, ich war inzwischen in Therapie.

Wie gerät man in so etwas hinein?

Mein Vater musste wegen einer schweren Krankheit ins Ausland, als ich 16 war: ein Alter, in dem man einen Vater am nötigsten braucht. Ich blieb alleine im Haus zurück. Alle meine Freunde zogen ein, und wir feierten eine Party. Sie dauerte 12 Jahre.

Der Held Ihres Buches, der mexikanisch-stämmige Jesus, ist ein unschuldiger Junge, der für ein Highschoolmassaker verantwortlich gemacht wird. Schuld haben andere: Medien, Eltern, Behörden, Lehrer. Welche Rolle spielt Schuld für Sie persönlich?

Schuld ist eine große Kraft – in allen Bereichen. Sie kann Reue bewirken oder Rache. Der Roman ist nicht meine Lebensgeschichte. Aber er ist voll von Schuld, Sünde, dunklen Geheimnissen. Daher die religiösen Metaphern. Obwohl ich alles andere als ein Kirchgänger bin.

Trotzdem heißt eine ihrer Figuren Jesus. Der Held wird am Ende fast gekreuzigt. Sehen Sie eine religiöse Wende in der Kultur?

Ein Buch macht noch keine Wende – ebensowenig ein auf Schock spekulierender Jesusfilm. Aber natürlich geht von bestimmten Kreisen in den USA eine neue Kreuzfahrermentalität aus. Der Name Gottes steht auf der Dollarnote, dem Symbol für die Macht, die die Welt kontrolliert.

Sie sind ein Australier, der in Mexiko aufwuchs und in Irland und London lebt. Warum spielt Ihr Buch in Texas?

Ich habe „Vernon God Little“ 1999 in London zu schreiben begonnen. Texas habe ich nicht nur gewählt, weil ich dort selbst als Schüler gelebt habe, sondern auch, weil Texas für die Todesstrafe steht. Speziell unter Gouverneur George W. Bush wurden dort mehr Menschen hingerichtet als zu irgendeiner anderen Zeit.

Seit 1982 wurden dort mehr als 320 Menschen exekutiert...

...und Hunderte sitzen noch immer in den Todeszellen.

Die „New York Times“ wetterte, Ihr Buch sei voller kontinentaler Ressentiments.

Als ich mein Buch in den USA vorgestellt habe, fanden alle es prima. Warum? Alles, was zählte war: der Booker-Preis, das Geld. Ich musste das Buch signieren, damit es sich besser bei Ebay verkauft. Erfolg zählt, nicht der Inhalt. Das ist der ganz große Shit.

Vernon Little, der Anti-Held Ihres Buches, benimmt sich am Ende wie die Welt um ihn herum. Muss man erst „dirty“ sein, um „clean“ zu werden?

Ich fürchte: ja. Es liegt nicht in der Geschichte der Menschheit, dass sie sich irgendwie positiv verändert. Die Dinge gehen vielmehr gegen die Wand, zum großen Crash, bevor etwas Neues entsteht. Das gilt in der Ökonomie wie im Privaten.

Sind Sie ein Kulturpessimist?

Der Held meines Romans ist ein High-School-Boy. Unsere Kultur ist meiner Meinung nach auch in der Pubertät. Wir benehmen uns so borniert wie kleine Jungs, denen man die Wagenschlüssel überlassen hat. Vielleicht werden wir auch mal erwachsen, aber da sehe ich momentan schwarz .

Das Gespräch führte Bodo Mrozek.

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