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Die britische Schriftstellerin Virginia Woolf (1882 - 1941).

© picture-alliance/ dpa

Virginia Woolfs Erzählband "Montag oder Dienstag": In vielen Farben schillernd

„Montag oder Dienstag“: Virginia Woolfs experimentelle, bisweilen sehr humoristische und ironische Erzählungen gibt es jetzt in einer Neuübersetzung.

Virginia Woolfs Affinität zur Bildenden Kunst ist offensichtlich. Als Mitglied der Bloomsbury Group, einem Künstler- und Intellektuellen-Zirkel, in dem viel über Malerei und Design gesprochen wurde, pflegte sie enge Kontakte zur avantgardistischen Kunstszene Londons. Ihre ältere Schwester, Vanessa Bell, war eine bedeutende Künstlerin, die ein großes und facettenreiches Werk schuf.

Wer einmal Monk's House besucht, ein altes Cottage in East Sussex, das Virginia Woolf mit ihrem Ehemann Leonard bewohnte, findet sich inmitten einer Sammlung aus Gemälden, Keramik und hochartifiziellen Möbeln wieder.

Schon rein äußerlich weist auch Virginia Woolfs Erzählband „Montag oder Dienstag“ von 1921 eine deutliche Nähe zur Bildenden Kunst auf, so wie viele Bücher der Hogarth Press, Leonard und Virginia Woolfs kleinem Verlag für moderne, avancierte Literatur. Vanessa Bell gestaltete nicht nur den Buchdeckel, sondern steuerte vier sehr expressive, zum Teil im Ansatz kubistische Holzschnitte zur Illustration bei.

Antje Rávik Strubel hat den Band übersetzt

Nun erscheinen Woolfs frühe Erzählungen in der sensiblen und kunstfertigen Neuübersetzung der Schriftstellerin und Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2021, Antje Rávik Strubel, einer Schwester im Geiste. Rávik Strubel hat bereits Woolfs berühmte und wegweisende Essays „Ein Zimmer für sich allein“ und „Drei Guineen“ ins Deutsche übertragen. (Verlag C.H. Beck, München 2022. 112 Seiten, 16 €.)

Auch beim Lesen dieser hochgradig experimentellen, bisweilen sehr humoristischen und ironischen Texte sticht Virginia Woolfs Kunstaffinität ins Auge. Farben und Licht erhalten eine ebenso zentrale Funktion wie alltägliche Gegenstände und deren kompositorische Anordnung, die zu einem dichten Netz von Bezügen führt – es handelt sich um literarische Stillleben, zumindest sind etliche im Text enthalten.

Das Licht verwendet Woolf häufig als Metapher des Vergänglichen. Die Betrachtung des Flüchtigen und Alltäglichen bleibt indes nie Selbstzweck, sondern dient der Erzählerin als Ausgangspunkt für Reflexionen über das Leben und die Gesellschaft, die es formt.

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In der berühmten Erzählung „The mark on the wall“ zum Beispiel – der Titel ist hier mit „Die Stelle an der Wand“ übersetzt – , genügt eine kleine Unebenheit, eben jene „Stelle“ an der Wand, um die Ordnung der Dinge grundsätzlich in Frage zu stellen und zwar in Form des von Woolf souverän und eindrucksvoll erprobten Bewusstseinsstroms: „Ach, du liebe Zeit, das Rätsel des Lebens! Die Ungenauigkeit des Denkens! Die Ignoranz der Menschheit! Als Beweis, wie wenig Kontrolle wir über unsere Besitztümer haben - was für eine Zufallsangelegenheit unser Leben doch ist trotz aller Zivilisation - lassen Sie mich einfach nur ein paar der Dinge aufzählen, die im Laufe eines Lebens verlorengehen, angefangen, denn das scheint immer der rätselhafteste Verlust zu sein – welche Katze würde daran nagen, welche Ratte daran knabbern - bei drei blassblauen Büchsen mit Buchbinderwerkzeugen …“.

Da ist es wieder, das aus Alltagsgegenständen zusammengesetzte Stillleben. Daneben finden sich sehr plastische Naturbeschreibungen wie in „Kew Gardens“: „Die Blütenblätter waren so üppig, dass die Sommerbrise sie erzittern ließ, und wenn sie sich bewegten, flirrten die roten, blauen und gelben Lichter übereinander hinweg und besprenkelten einen Zoll der braunen Erde unter ihnen mit einem Tupfer ungemein komplexer Farbe“.

Die Holzschnitte sind von Woolfs Schwester, Vanessa Bell

Der eigens den Farben gewidmete Text „Blau und Grün“ liest sich wie eine Beschreibung eines post-impressionistischen Gemäldes von Cézanne oder Matisse. Die Erzählung „Eine Gesellschaft“ zeigt bildlich-greifbar ein Figurenensemble und verweist durch die ironische Hinterfragung patriarchaler Strukturen auf Inhalte des Essays „Ein Zimmer für sich allein“.

Diese Sammlung, hier in der Auswahl und Reihenfolge der Erstausgabe samt der Holzschnitte von Vanessa Bell, birgt etliche Motive und Techniken, die die Schriftstellerin in ihrem späteren Werk weiterentwickelt.

Zudem zeugt sie von einem gravierenden Zeitenwandel: Der Realismus ist Geschichte, die Schwelle zur klassischen Moderne überschritten. Dass Virginia Woolf zu Recht als eine der bedeutendsten Vertreterinnen dieser Epoche gilt, machen bereits diese frühen Erzählungen deutlich.

Tobias Schwartz

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