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Kultur: Voll in die Presse

Kämpfer, Karikaturist und früher Medienkünstler: Vor 200 Jahren wurde Honoré Daumier geboren

Eine Karikatur aus dem Jahr 1832: „In der gleichen Stunde, da wir diese Zeilen schreiben, wurde unter den Augen seines Vaters und seiner Mutter Monsieur Daumier, ihre einzige Stütze, festgenommen.“ Honoré Daumier, am 26. Februar 1808 in Marseille geboren, war der königlichen Obrigkeit mit seinen gezeichneten Geschossen ein Dorn im Auge. Mit dem „Gargantua“ verunglimpft er im Dezember 1831 König Philipe als riesigen Birnenkopf, dessen Schergen ihm über eine Rampe die vom Volk abgepressten Tribute in den weit geöffneten Schlund schieben. Unter dem Thron, der eher einem Toilettenstuhl ähnelt,warten seine Günstlinge auf das, was für sie dabei rauskommt.

Die Zensur schlägt zu: ein halbes Jahr Haft auf Bewährung. Doch schon im August erregen Daumiers „Weißwäscher“ erneut den Zorn der Monarchie. Drei reaktionäre Royalisten wollen darin aus der Trikolore wieder die weiße Bourbonen-Fahne machen. Der erst napoleonische und dann monarchistisch gewendete Marschall Soult, der Pariser Polizeipräsident Guisquet und der Generalstaatsanwalt Persil stehen an einem Waschzuber und schrubben an der Trikolore. „Das Blau geht zwar raus, aber dieses teuflische Rot klebt wie Blut“, so der Untertitel der Lithografie. Wegen Majestätsbeleidigung wird Daumier ins berüchtigte Gefängnis Sainte-Pélagie gebracht. Philippon, Gründer der Caricature und späterer Verleger des Charivari, sollte ihm eine Woche später folgen. Nach fünf Wochen Haft schreibt Daumier galgenhumorig aus „der Pension Guisquet“ an seinen Freund und Kollegen Jeanron: „... Da sitz ich nun in Pélagie, einem reizenden Zufluchtsort, wo sich kaum einer freuen mag. Was mich betrifft, ich amüsiere mich, und sei es nur, um Opposition zu machen. Hätte ich jetzt bloß ein bisschen mehr Tinte ...“.

Daumier war der innovativste und produktivste Zeichner und Karikaturist des 19. Jahrhunderts. In rund 40 Jahren schuf er 4000 Lithografien und 1000 Vorlagen für Holzstiche. Sein Freund, der Dichter Baudelaire, erklärte, dass Paris nur drei große Zeichner habe: Ingres, Delacroix und Daumier. Und Honoré de Balzac, in den 1830er-Jahren ebenfalls Mitarbeiter der Caricature, äußerte schon damals: „Dieser Bursche da hat etwas von einem Michelangelo im Blut.“

Sein Vater, ein Handwerker und erfolgloser Poet, nutzte seine Kontakte, um das Talent seines Sohnes zu fördern. Alexandre Lenoir, ein Freund der Familie, gab dem 15-Jährigen Zeichenunterricht. Ansonsten war Daumiers Schule das Leben, der Louvre und die Künstlerfreunde, die er an der „Académie Suisse“ kennenlernte, jener unkonventionellen Lehrstätte ohne Lehrer, aus der auch Courbet, Delacroix, Pissarro, Monet und Cézanne hervorgingen. Das Handwerk der Lithografie lernte er bei Belliard, bis er mit seinen Steinzeichnungen ab 1829 Geld verdiente und begann, seine Meinung kundzutun. Mit dieser aus Deutschland knapp 30 Jahre nach ihrer Erfindung importierten druckgrafischen Technik war Daumiers Schicksal fortan untrennbar verknüpft, denn sie ermöglichte es, bebilderte Zeitungen in größerer Auflage schnell zu drucken.

Das Frankreich des 19. Jahrhunderts ist ein höllisches Paradies für Karikaturisten: die Revolutionen von 1830 und 1848, Napoleon III., die Niederlage gegen Deutschland 1870, Dritte Republik und Pariser Kommune. Immer wieder wirft die Zensur der Presse Knüppel zwischen die Beine. Als Karikaturist wird Daumier über Nacht ein Star, vom Volk geliebt, von „Königs“ gehasst.

Daumier kämpft für die Republik und um sein tägliches Brot. Er wird zum kritischen Medienmann der ersten Stunde, ein Tagelöhner der Presse. Dabei greift er raffiniert in die mediale Trickkiste: Für seine Serien entwirft er markante Typen, die jedermann kennt – ein Winkelzug, um der Zensur zu entgehen. Philippon regt die Figur des „Robert Macaire“ an, eines skrupellosen Emporkömmlings der Julimonarchie, den Daumier als windigen Yuppie-Typen karikiert. 1850 erfindet Daumier den „Ratapoil“, die haarige Ratte, eine verschlagene, dürre Gestalt ohne Rückgrat, mit Gehrock, Zwirbelbart und Schlagstock, die den Bonapartismus verkörpert – Hinterhältigkeit, Heuchelei, Spitzeltum und nackte Gewalt.

Daumiers Arbeiten zeichnen ein Gefühl für Physiognomien, Charaktere und menschliche Szenen aus, die er in seinen kraftvollen Studien und Karikaturen plastisch werden lässt. Mit ihnen entlarvt er Schrullen und Torheiten, die dunklen Seiten der menschlichen Natur – jeder Federstrich ein Treffer. Wo die Sprache durch die Zensur an ihre Grenzen stößt, erzählt Daumier Geschichten ohne Worte. Mit seinem oft erfrischend skizzenhaften Stil, durchbricht er die akademischen Regeln. Sein suchender Strich wird wegweisend für die Impressionisten. Daumier reduziert, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Er zeichnet direkt mit Kreidestiften auf den Stein und kultiviert Strichstärke, Schraffierung, Wischung und Hell-Dunkel-Kontraste in der Lithografie bis zur Perfektion.

1860, nach über 30 Jahren Arbeit für die Satirezeitschriften „La Caricature“ und „Le Charivari“, stellt Verleger Philippon seinem Weggefährten Daumier den Stuhl vor die Tür – vielleicht aus Neid. Seiner Existenzgrundlage beraubt, entwickelt sich Daumier zum optimistischen Fatalisten. „Ich will malen, ich muss malen!“, sagt er und fühlt sich zum ersten Mal in seinem Leben frei.

Den Orden der Ehrenlegion, den ihm die verhasste napoleonische Regierung 1870 verleihen will als Zeichen ihrer „Liberalität“, lehnt er ab. Die ihm gewidmete große Ausstellung 1878, ein Jahr vor seinem Tod, war ein künstlerischer Triumph, aber finanziell ein Fiasko. Die betuchte Kundschaft hatte er vergrault, sein Ruhm als Karikaturist, als Kunsthandwerker hatte die Anerkennung als Künstler sabotiert. Am 10. Februar 1879 stirbt er. Ein Jahrzehnt später würdigt ihn Vincent van Gogh: „Leute wie Daumier muss man hoch achten, denn sie gehören zu den Bahnbrechern.“ Wirkliche Anerkennung finden seine Blätter aber erst im 20. Jahrhundert, und das vor allem jenseits der französischen Grenzen.

Britta Weichert

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