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Kultur: Vom irdischen Paradies Benefiz des Bundespräsidenten in der Berliner Philharmonie

„Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde“ – so singt der Chor der Sächsischen Staatsoper die Worte aus dem Brief des Jakobus, die Johannes Brahms sich für den lieblichen Dur-Teil im zweiten Satz seines Deutschen Requiems gewählt hat. Damit spricht der „Knecht Gottes“ in einem Vergleich die Bewässerung kargen Landes an.

„Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde“ – so singt der Chor der Sächsischen Staatsoper die Worte aus dem Brief des Jakobus, die Johannes Brahms sich für den lieblichen Dur-Teil im zweiten Satz seines Deutschen Requiems gewählt hat. Damit spricht der „Knecht Gottes“ in einem Vergleich die Bewässerung kargen Landes an.

Gerade war Johannes Rau in seiner Rede auf dem Podium der Philharmonie zu der beschämenden Wahrheit gekommen, dass in Afrika, dem Kontinent mit den geringsten Ernteerträgen, 340 Millionen Menschen in extremer Armut leben. Hier mischt sich plötzlich mit der himmlischen Musik, dem „Regen“, den die Harfen spenden, ein ganz irdisches Wunschbewusstsein. Dann keimt in der Fuge jene Hoffnung auf, die zu ewiger Freude führen will, der dissonante „Schmerz“ wird weggeworfen, die Soprane erklimmen ein „Jauchzen“ zum hohen A und B, bevor der Klang ins Leise versinkt.

Außerordentlich verknüpft sich dieses Benefizkonzert des Bundespräsidenten mit seinem Anliegen, weil die Interpretation des Requiems von Lebendigem glüht. Der Erlös soll an drei Projekte in Mali gehen, die Rau bei einem Staatsbesuch 2002 besucht hat. So begrüßt er die Botschafterin aus Mali, um auf Details der bitter nötigen Entwicklungshilfe zu kommen: Ein Projekt in Bamako bietet für Straßenkinder die einzige Möglichkeit, medizinisch betreut zu werden und Lesen und Schreiben zu lernen. Ein anderes bedeutet Hilfe durch ein deutsches Ehepaar im Flusstal des Niger, das Hunderte von Flüchtlingen in ihre Heimat zurückholen konnte. Ähnlich „praktische Mittelstandshilfe“ leistet die Organisation „Kafo Jiginew“ unter afrikanischen Bedingungen für Menschen, die keinen Zugang zum Bankwesen haben.

Wie ein geheimnisvolles Saitenspiel scheint der Dirigent Christian Thielemann den großen Apparat zu berühren, der aus dem Opernchor und der Sächsischen Staatskapelle Dresden besteht. Der neue alte Ton des 1548 gegründeten Orchesters, dessen Oboe schalmeienhaften Gesang aufblühen lässt, verbindet sich in unerhörter Ausgewogenheit mit dem Chor, der in seiner Perfektion nicht zu überbieten und dabei ein beseeltes Instrument ist. Thielemann dirigiert dieses Spitzenereignis so, als ob ihm das musikalische Universum gehörte. Jedes Pizzikato, jeder Fortepiano-Akzent, jeder Paukenschlag – „Denn es wird die Posaune schallen“ – steht unter seiner leidenschaftlichen Kontrolle. Auch wo der Klang das „Sterben“ umfasst, vibriert er von Leben: Es ist ein Stück musikalisches Paradies auf Erden, Präzision, die von innen kommt. In lyrischer Deklamation mahnt Wolfgang Schönes Bariton zum Gebet, während Christine Schäfer mit somnambuler Sicherheit der „Traurigkeit“ des Johannes-Evangeliums nachsinnt, die überwunden wird um der Freude willen: Mädchensopran und Muttertrost zugleich. Über die leidenden Menschen soll dieser Segen kommen: Bewegt im Tempo, unpathetisch, beinahe heiter in ihrem Ausdruck der Zuversicht nimmt Thielemann die Stelle, die der Rede Johannes Raus zu antworten scheint: „So seid nun geduldig, liebe Brüder.“

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