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Kultur: Vom Sockel

London streitet über eine Schwangeren-Statue

Der Herr mit Trilby Hütchen sieht zu dem dreieinhalb Meter Koloss hoch und schüttelt den Kopf: „Churchill wäre mir lieber gewesen“. Die Supermarktangestellte hätte die Figur gerne etwas femininer gehabt. Der Reporter von der „Christlichen Stimme“ nimmt an den geschwollenen Brüsten und dem hochschwangeren Bauch Anstoß. „Besser, sie hätte etwas an. Wir müssen als Nation einfach züchtiger werden“, teilt er dem „Independent“ mit. „Maschinenkunst“, schimpft derweil Kunstkritiker Robin Simon über die 12 Tonnen schwere Skulptur aus den Steinbrüchen von Pietrasanta, wo auch Saddam Hussein arbeiten ließ. Kurzum: London streitet.

„Alison Lapper Pregnant“ heißt die gewaltige Statue von Marc Quinn, die den „leeren Sockel“ am Trafalgar Square für die nächsten zwei Jahre besetzen wird. Die Frauengestalt ist nicht nur nackt und schwanger, sondern behindert. Lapper hat von Geburt an keine Arme und nur verkrüppelte Beine. Als Kunstwerk spielt Quinns Statue mit Erinnerungen an klassische Torsi und humanistischen Schönheitskult. Als öffentliches Monument ist sie, in den Worten der Dargestellten selbst, ein „moderner Tribut an die Weiblichkeit, die Behinderung und die Mutterschaft“. Im Handstreich haben Quinn und Lapper Behinderung zur autonomen Leistung erklärt – wie Schönheit. Der gehirngelähmte Christy Brown („My left foot“) musste noch mit den Zehen Romane tippen; Stephen Hawking triumphierte als Meisterdenker über seine Behinderung. Lapper sitzt auf dem Sockel und ist groß und schön und schwanger.

Und sie ist Künstlerin. Die alte Lessing-Frage, ob Raffael ohne Hände ein Künstler gewesen wäre, hat sich ja längst erledigt. Statt mit dem Mund voll ausgeformte Menschen zu malen, vertreibt Lapper Fotos von sich selbst – zum Künstlerpreis von 2000 Dollar. Früher hätte man an Freakshows gedacht, heute ist es Body Art. Termingerecht zum Statuenlaunch erschien auch Lappers Autobiografie, in der sie versichert, sie würde, wenn sie’s könnte, nichts an ihrem Körper ändern. Zum Beweis führte sie dann in der BBC vor, wie sie aus einer zwischen Kopf und Schulter eingeklemmten Rotweinflasche ein Glas voll schenken kann. Kein Tröpfchen fällt aufs weiße Tischtuch.

So triumphiert auf dem Trafalgar Square neben imperialen Feldherren die erste Behinderten-Celebrity. Kaum war Lapper auf den Sockel gehoben, waren alle schon damit beschäftigt, das schöne, kokainsüchtige Fotomodell Kate Moss von dem ihren zu herunterzureißen.

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