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Kultur: Von Menschen und Magiern

Des Zauber-Kinos zweiter Streich: Morgen startet „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“

Diesmal sollte alles viel schöner sein und viel schauriger. Chris Columbus, der Regisseur schon der ersten „Harry-Potter“-Verfilmung, sprach davon, dass er sein zweites Werk „finsterer und weniger stromlinienförmig“ angelegt habe als beim Debüt vor einem Jahr. Solche Worte klingen ungewöhnlich selbstkritisch bei einem filmindustriellen Weltprodukt, das schon beim ersten Streich eine Milliarde Dollar eingespielt hat.

Und Columbus hat Recht. Er hat gewiss kein cineastisches Neuland entdeckt, aber viele Skeptiker überrascht. Denn „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“, im Branchenjargon „HP2“, ist im Gegensatz zu „HP1“ ein richtig guter und für Momente auch sehr guter Unterhaltungsfilm geworden. Für jedes Alter – das sowieso: weil J. K. Rowlings „Potter“-Saga wie alle großen Märchen und Mythen die Menschheit nicht mehr in Kinder und Erwachsene scheidet. Sondern einzig in Leser und Nichtleser, in Bezauberte oder Ahnungslose.

Weil ich selbst aus mancherlei kindlichen und erwachsenen (oder nur: menschlichen) Gründen ein Bezauberter bin, kann ich nun eines nicht beurteilen: Ob Zeitgenossen, die den Unterschied zwischen Muggels und Magiern oder die Geheimnisse der Zauberschule Hogwarts und die Regeln eines Luftpolos namens Quiddich (mit einem fliegenden Gral namens „Schnatz“ und einer Killerkugel, dem „Klatscher“) nicht kennen, ob diese bedauernswerten Wesen alle schnellen Anspielungen und Reize dieser Zweieinhalbstundenreise durch einen vielhundertseitigen Romankosmos goutieren werden.

Vielleicht muss man ja nicht alles verstehen, sondern kann einfach schauen, auch staunen. In die Welt der zauberlosen Muggel-Menschen, die wie Harrys Stiefeltern in den Garten-Haus-Waben riesiger, Los-Angeles-hafter Vorstädte wohnen, bricht nachts als graugrünes Männchen ein dämonisch gütiger Hauself ein. Er sucht Harry am Ende der Schulferien in seiner Familienhölle heim. Doch ist das fistelstimmige, fledermausohrige Geschöpf aus dem Zauberreich nicht nur wegen seiner Horror-Verheißungen ein ungemütlicher Gast. Dieser Zwerg Dobby geht Harry und dem Leser schon im Buch auf die Nerven und drückt zugleich auf die Rührdrüse, weil er der Sklave des unbarmherzigen Magiers Malfoy ist.

Böses Blut ist reines Blut

Erst im Film aber, der den computer-animierten Elf in einen grauweißen, die geschundene dürre Lederhaut entblößenden Kittel steckt, kommt den älteren Zuschauer noch eine andere Assoziation: Dobby wirkt wie der winzige, aber penetrant hartnäckige Bruder eines KZ-Insassen. Und das ist hier keineswegs eine überspannte (oder filmisch geschmacklose) Anspielung. Vielmehr wird der ernstere Subtext, der in allen Potter-Geschichten steckt, eher beiläufig souverän hervorgehoben – weil J. K. Rowlings in ihrem zweiten Buch auch eine Parabel über den Rassismus erzählt. Malfoy und die Gegenspieler Harrys im Zauberer-Internat Hogwarts kämpfen mit Mord und Verschwörung für ein Geschlecht der „reinen“ Magier: gegen die „schlammblütigen“ Mischlinge, in deren Ahnenpässen auch Nichtzauberer, jene „Muggels“ genannten Normalsterblichen auftauchen. Herrenzauberer und Untermenschen – ein Märchen realer Schrecken.

Der Film funktioniert da gleich zu Anfang wie ein guter jüdischer Witz: Die Katastrophe namens Dobby gebiert einen Slapstick, also kriegt Harrys Familie samt Partygästen eine fliegende Sahnetorte ins Gesicht, und der Stiefsohn (auch er zu Hause ein Sklavenkind) hebt wieder ab gen Hogwarts. Ein Auto tanzt in den Himmel, der Hogwarts-Express durchdampft in schönsten Western-Totalen die grünen Schluchten Schottlands – allein bei Hogwarts Castle schwächelt der Computer wieder. Die Neogotik riecht noch immer nach Pappmaché. Die Monster aber, Riesenspinnen und der basiliskische Drache, dem Harry in der Kammer des Schreckens wie Kleingeorg, wie Jungsiegfried entgegenficht, sie alle haben Blockbuster-Klasse. Und „HP2“ stinkt da filmtechnisch nicht mehr ab gegen den „Herrn der Ringe“.

Das Problem ist nur: Die künstlichen Wesen sind manchmal bessere Schauspieler als die realen Akteure. Nicht der zu kurze Atem oder dass sich der Film nur pedantisch an der Vorlage entlanghangele – wie einige Kritiker auch von „HP2“ behaupten –, nicht das sind die triftigen Einwände. Natürlich lastet auf allen Roman-Verfilmungen der Fluch des Vergleichens. Dennoch hat „HP2“ seinen eigenen, filmischen Rhythmus, ist unendlich viel besser geschnitten als der Vorläufer und macht, selbst wenn das große epische Panorama fehlt, aus dem Gymnasium der Magier nicht wieder eine Videoclipschule.

Nein, Glück und Unglück liegen hier vor allem im Spiel. Kenneth Branagh gibt den eitlen Zauberromancier und Hochstapler Gilderoy Lockhart, mimisch kaum variierend, nur an der Untergrenze des komödiantischen Virtuosen; damit wird auch Rowlings wunderbare Satire auf Bestsellerautoren und das romantische Vexierspiel mit Dichtung und Wahrheit nahezu verschenkt. Auch Jason Isaacs Mister Melfoy bleibt zu sehr eisblonde Maske; beide stechen so ab gegen die einmal mehr fabelhaft witzige, strenge, weise Maggie Smith als Professorin McGonagall und Richard Harris, der kürzlich Verstorbene, als Hogwarts-Direktor Dumbledore. Überhaupt wird der Film, in dem Dumbledores gütige Welt schon hart am Untergang lebt, zum elegischen Requiem. Harris in seiner Abschiedsrolle durchdringt Maske und gottväterlichen Rauschebart – und erscheint, als Zauberer, am Ende auch als wahrer Mensch.

Der Schrei der Alraunen

Ein wahrer Meister der Magie bleibt dagegen der Titelheld – nur auf dem Romanpapier. Auch im zweiten Anlauf hat der sympathische, brillenernste Daniel Radcliffe leider nicht mehr als die Beweglichkeit und den Charme eines hübschen, hölzernen Bengeles. Und sein Freund Ron alias Rupert Grint zeigt den immergleichen weinerlich-erschrockenen Ausdruck des Laienspielers. Als gäbe es nicht so herrlich präsente, ausstrahlende Kinderdarsteller: wie Emma Watsons Hermine, die diesmal allerdings wegen eines Versteinerungszaubers über weite Strecken ausfallen muss. Unübertrefflich sind dagegen die Wichtel: sprechende Briefe mit Biss oder beim Umtopfen kreischende, lebende Alraunenwurzeln. Grotesk komisch. Ein Triumph der digitalen Magie, und echter als manche Natur. Geht das weiter so, dann wird „HP3“ noch richtige Kunst. Auch im Kino.

In Berlin ab Donnerstag in 37 Kinos

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