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Kultur: Von Nieten und Nägeln

hat Probleme mit rutschenden Hosen Der Nietengürtel, dieses letzte modische Überbleibsel aus der Punk-Ära, taugt schon lange nicht mehr zum Bürgerschreck. Wer heute die ritterlich glänzenden, schwarzen Metallbänder trägt, egal ob als Hosenhalter, Halsschmuck oder Armband, kann damit nicht mal mehr frühvergreiste Tanten beim Nachmittagstee in der Fußgängerzone schockieren.

hat Probleme mit rutschenden Hosen Der Nietengürtel, dieses letzte modische Überbleibsel aus der Punk-Ära, taugt schon lange nicht mehr zum Bürgerschreck. Wer heute die ritterlich glänzenden, schwarzen Metallbänder trägt, egal ob als Hosenhalter, Halsschmuck oder Armband, kann damit nicht mal mehr frühvergreiste Tanten beim Nachmittagstee in der Fußgängerzone schockieren. Aber es gibt Hoffnung für notorische Pseudo-Provokateure: Auf Flughäfen verbreiten die Dinger mittlerweile wieder ihren ganzen gefährlichen Charme. Nietenträger haben eine hohe Auffallquote, denn seitdem die Terrorangst neue elektronische Überwachung gebar, muss aufs Magnetband, was niet- und nagelfest ist. Auch wenn die Hose rutscht. Ansonsten empfiehlt es sich, zu Hause zu bleiben oder mit dem Zug oder Auto zu fahren. Auf Bahnhöfen gibt es nämlich noch keine Metalldetektoren.

Damit hat der Nietengürtel dieselbe Karriere gemacht wie die Stil-Codes und Musikrichtungen, für die er jeweils steht. Von echten Punks und selbst von späten Poppern für zu niedlich befunden, gehört er mittlerweile zum festen Bestandteil der sogenannten Emo-Core-Szene. Emo- Core ist Rockmusik, die sich betont weich und weiblich gibt, ohne jedoch ganz auf den rockig aggressiven Kern zu verzichten. Entstanden im ländlichen Amerika, gedeiht und wächst die Emo- Rock-Pflanze, auch hierzulande, vor allem in den Provinzen. Kein Wunder, dass die bekannteste ihrer Bands At The Drive-In heißt und genauso klingt wie ihr Name: nach unterwegs sein, nach Frühsommerregen, und nach niemals ankommen. Denn der moderne Emo-Corler fühlt sich eben auf Landstraßen und Autobahnen wohler als auf Flughäfen. Nicht umsonst besteht diese elegische Gitarrenmusik aus einem endlosen Hinarbeiten auf wenige Brüche pro Stück. Dieses Phänomen kann man am Wochenende auch in unseren Breitengraden, live und in Farbe, erleben: Am 19.6. spielt die in Hamburg ansässige Emo-Vorzeigeband Marr (gemeinsam mit ihren Kollegen Kju) in Potsdam im Waschhaus . Eine Band, nebenbei bemerkt, die nicht nur Nietenarmband, sondern auch den Gesang aus der Hüfte und der Kopfstimme wieder salonfähig gemacht hat. Was ein bisschen lustig ist, wenn man bedenkt, dass Marr die einzige Band aus dem Umfeld der Hamburger Schule ist, die englisch singen kann und kein bisschen verkopft ist.

Ein Wochenendausflug ins Brandenburger Land, gewissermaßen in den Nietengürtel von Berlin, könnte sich also lohnen. Ausnahmsweise.

Kerstin Grether

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