zum Hauptinhalt

Kultur: Von Schönheit und ihren Störgeräuschen

"Unsere Musik ist ein einziger Break", sagt Jan Werner. Mit seinem Partner Andi Thoma orientiert sich Werner an einem klassischen Break-Verständnis.

"Unsere Musik ist ein einziger Break", sagt Jan Werner. Mit seinem Partner Andi Thoma orientiert sich Werner an einem klassischen Break-Verständnis. Ihnen geht es nicht um endlose Verlängerungen der rhythmischen Essenz zum Zwecke der Tanzbarkeit eines Stückes. Ihr Anfang September erschienenes neues Album "niun niggung" besteht im wesentlichen aus 12 Tracks, die in Dutzende von kleineren Partikeln aufgespalten sind. Das Zerlegen der Sinneinheit Song in Untereinheiten und der permanente Ausbruch aus der Linearität des Songformates: das ist die Methodik von Mouse on Mars.

In Zeiten der elektronischen Musik ist eine solche Vorgehensweise dutzendweise erprobt und musikalisch sanktioniert. Zu der Zeit jedoch, als Andi Thoma und Jan Werner sich erstmals entschlossen, ihre Demo-Tapes zu verschicken, war die deutsche Labellandschaft noch nicht reif für ihre spielerisch-gebrochene, elektrifizierte Popmusik. Die Independent-Firma Rough Trade etwa, ihr heutiger Brötchengeber, beförderte das Band in den Papierkorb. Es soll Bands gegeben haben, die an solchen Episoden zerbrochen sind. Mouse on Mars hat der unwirsche Talentsucher von Rough Trade in genau diesem Moment zum Karrieresprung verholfen. So geriet die Band 1994 an das englische Too Pure Label, das in den frühen Neunzigern mit Acts wie Stereolab auf der höchsten Stufe der Hipnesskala herumturnte. Die Tatsache, daß das Label in London beheimatet war, verschaffte der aus Köln und Düsseldorf stammenden Band den entscheidenden Standortvorteil. Seit jeher treffen Deutsche, die auf einem englischen Label veröffentlichen, hierzulande auf erhöhte Aufnahmbereitschaft.

Inzwischen gelten Mouse on Mars als eines der herausragenden Aushängeschilder deutscher Populärmusik. Nach fünf offiziellen Studioalben hat die Band den Status der

Unantastbarkeit erreicht. Wenn Mouse on Mars ein neues Album auf den Markt werfen, ist die Aufregung groß. Dabei scheint die musikalische Qualität eine untergeordnete Rolle zu spielen. Je komplizierter die Musik, um so euphorischer offenbar die Rezeption. Die Fachzeitschrift Spex etwa sieht eine Band, die "mit ihrem Tun Perspektiven multipliziert" und für die "Mikro-Avantgarde tüftelt", während das Berliner Fachorgan für elektronische Lebensaspekte De Bug eine "Revolutionierung des Makrostrukturpop" miterlebt haben will. Der Autor des Pressetextes hat gar "radiantes Splinkern" aus der Musik von "niun niggung" herausgehört. Hinter all dem Sprachwust verbirgt sich eine schlichte Erkenntnis: Die Musik von Mouse on Mars ist schwer zu fassen, bietet sich deshalb für Zuschreibungen aller Art als Projektionsfläche an.

Natürlich schreibt auch "niun niggung", diese latente Unangreifbarkeit fort. Schon der Titel ist ein Monument an Kommunikationsverweigerung. Noch stärker als etwa auf dem Siebenundneunziger Album "Autoditacker" widmet sich die Band auch inhaltlich dem Fetisch der Diskontinuität. Das Album ist voller Soundschnipsel, Störgeräusche und Tempiwechsel. Kunstvolle Ideen und Momente der reinen Schönheit werden kurz angedeutet, um dann mehr oder weniger abrupt in sich zusammenzufallen. Wer nicht ständig ein Auge auf das Display des CD-Spielers hat, verliert leicht den Überblick über die Abfolge der Tracks. In ihren Interviews beeilt sich die Band zwar, das spielerische, chaotische und körperliche ihrer Arbeitsweise zu unterstreichen, gleichwohl belegt jeder einzelne Break auf "niun niggung" das absichtsvolle, zielgerichtete ihrer Methode.

Die Platte klingt jedoch, trotz aller Gimmicks, in einem negativen Sinne vernünftig und erwachsen. Vom naiven Kleinjungencharme, der die ersten Alben kennzeichnete, ist jedenfalls nicht mehr viel übrig geblieben. Es scheint, als hätte die Band bei der verzweifelten Suche nach "Mehrstöckigkeit" (Jan Werner) den Groove aus den Augen verloren. Das ist schade, denn an sich sind Mouse on Mars gewiss eine der intessantesten deutschen Bands, auch wenn sie derzeit einer überschätzten Band mit einem höchst mittelmäßigen Album gleichen. Die ausgedehnte Rede von imaginären "Landkarten, Nonlinearität und Dekonstruktion", von der Werner und Thoma in Interviews so gerne schwärmen, erweckt den Eindruck, als ginge es bei Musik nur darum, möglichst schlaue Theorien zu entwickeln. Ganz sicher hat gerade dieses Land einen enormen Nachholbedarf an intelligenter Popmusik. Aber Mouse on Mars laufen Gefahr, Musik zu denken, anstatt ab und an auch mal so etwas Altmodisches wie Gefühl oder Emotion durchscheinen zu lassen. Sollten die enervierenden, hyperkomplexen Soundminiaturen auf "niun niggung" jedoch tatsächlich einem inneren Bedürfnis und weniger einer theoretischen Vorgabe entsprungen sein, müßte man sich ernsthafte Sorgen um die emotionale Stabilität der beiden Klangforscher machen.Mouse on Mars: "niun niggung" (Rough Trade 1999)

Steffen Irlinger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false