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Kultur: Vor Torschuss

„Rundlederwelten“ zur WM: die große Fußball-Kunst-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau

Am Anfang war der Ball. Also springt eingangs der weltgrößten Kunstausstellung zum Thema Fußball das schiere runde Leder ins Auge. Altmeister Markus Lüpertz hat diesen „Fußball“ 1966, vier Jahrzehnte vor der kommenden WM, als bildfüllendes Stillleben ins Gras gesetzt. Aber ein gemalter brauner Ball auf grünem Grund stellt zunächst nicht mehr vor – als einen Ball. Trotz der globalen Form bedeutet er noch keine Welt, und so ist auf den ersten Blick in die „Rundlederwelten“ im Berliner Martin-Gropius-Bau noch nichts entschieden.

Rundlederwelten. Schon der Titel wirkt in seiner Mischung aus Sprödem und Mondänem einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Fußball und Kunst sollen sich unter diesem Motto vereinen (oder aneinander reiben). Das war die Idee des seit seinen Biennalen und „Documenta“-Erfolgen legendären Harald Szeemann. André Heller, Kopf des mit über 30 Millionen Euro und fast 50 Projekten gesegneten Kulturprogramms zur Fußball-WM 2006 in Deutschland, hatte den Ausstellungsmacher engagiert. Doch Szeemann, der gleich den Titel erfand, ist im Februar überraschend gestorben. Zwei Monate später hat die 44-jährige, aus Frankfurt am Main stammende, heute in Zürich arbeitende Kuratorin Dorothea Strauss das Vorhaben aus dem Stand übernommen. Und jetzt für eine Riesenüberraschung gesorgt.

Man konnte zuvor durchaus skeptisch sein. Den meisten Fußballfans (oder Kunstliebhabern) würde ja schon etwas mehr Spielkunst auf dem realen Rasen, etwas mehr Artistik, Intelligenz und Kreativität vor allem im deutschen Fußball genügen. Museum müsste da gar nicht mehr sein. Und kulturelle Weihen im Namen des DFB und des allgegenwärtigen Franz Beckenbauer, der nun auch die Posterwerbung der Berliner Ausstellung ziert, können einem leicht auf die Nerven gehen.

Boxkampf und Stierkampf hatten zwar ihren Brecht, Picasso und Hemingway. Aber beim Fußball, denkt man, reichen einem kulturell schon die Azteken, die mit den Köpfen ihrer Opfer gekickt haben. Oder die in der neueren Literatur beglaubigte Tatsache, dass die heißen britischen Fans die coolsten sind und Netzer mal aus der Tiefe des Raums kam. Ab morgen Abend jedoch, wenn der bald scheidende Bundeskanzler und Exfußballer („Acker“) zusammen mit Heller, Schily und Kaiser F. die „Rundlederwelten“ eröffnet, gehen uns wohl neu die Augen auf.

So viel spielerischer Witz! Für die Fußballgläubigen gibt es ganz wunderliche Videos: Der Südafrikaner Robin Rhode lässt junge Schwarze die Umrisse des Balls allein durch pantomimische Schüsse gegen die Kickwand einer Township „malen“; und Maria Marshall aus Bombay zeigt den Film eines Jungen, der in der Mittagssonne gegen die weißen Mauern einer mittelmeerischen Kirche immer wieder den Schatten eines unsichtbaren (weil digital gelöschten) Fußballs kickt. Massimo Furlan wiederum hat das WM-Finale Italien-Deutschland 1982 in Madrid in allen Spielzügen auswendig gelernt und stellt den Sieg der Italiener im Trikot der Azzurri allein und ohne Ball in einem geisterhaft leeren Stadion nach. Ein wahres Kunst-Fußballwunder.

Frecher, provokativer noch die Tischfußball-Installation des Uruguayers Federico Arnaud: Jesus Christus, in Kreuzigungspose, ist darin ein ausgreifender Torhüter, die Jungfrau Maria eine Verteidigerin und das Spielfeld unter ihnen ein leicht bewölkter Himmel. Fußballerinnen übrigens finden sich immer wieder: beispielsweise die graziös grotesken, doch im Maßstab 1:10 zugleich ganz realistischen Zwergstatuen der deutschen Weltmeisterinnen von Karin Sander.

Die Malerei spielt hier, abgesehen von Lüpertz’ Eingangsbild, von einem Triptychon Martin Kippenbergers oder Andy Warhols Porträt des jungen Beckenbauer (aus dessen Besitz), nur eine eher harmlos dekorative Rolle. Erstaunlich aber wirkt bei den Installationen, Videos und Foto-Strecken, wie viel intelligentes Kopf-Ballspiel mit gedankenfliegenden Steilvorlagen, Dribblings und brillanten Kurzpässen zwischen einzelnen Werken und Motiven die Kuratorin Dorothea Strauss in gerade sechs Monaten inszeniert hat. Rund 200 Arbeiten von 74 zumeist nach 1960 geborenen Künstlern sind nun im gesamten ersten Stock des Gropius-Baus zu sehen. Und manchmal geht es da so monumental wie subtil zu.

Das gilt besonders für den etwa 15 Meter langen „Strafraum“ der Türkin Ersa Ersen. An der Hinterwand, über einer rotgoldenen Tuchbahn blendet ein Video kurz die Stadionanzeige mit dem Spielstand 0:0 zwischen „Heim“ und „Gast“ ein; dann sieht man türkische Mädchen im Video an einer Tuchbahn mit den deutschen Nationalfarben den schwarzen Streifen abschneiden. Am Ende jedoch legen sich die Mädchen auf die rot-gelbe Bahn – die Farben des Fußballklubs Galatasaray Istanbul –, und ihre schwarzen Haare und Kleider stellen so auch wieder die deutschen Farben her. Am Rande von Kitsch, Kunst und Dekonstruktion ergibt sich ein kurzes, hauchfeines Spiel: mit der Identität von Deutschen und Türken.

Fußball, das heißt natürlich auch Unterhaltungsindustrie. Explizit und grimmig Sozialkritisches ist zu diesem Thema in der Ausstellung nicht zu sehen. Gleichwohl gibt es das ironisch nostalgische Augenzwinkern, etwa bei einer Wand voller Schallplattencover. Das reicht von Jung- Beckenbauers „1:0 für die Liebe“ über Uwe Seelers „Abschiedslied“ bis zu Placido Domingos Beitrag zur WM ’82 in Spanien. Härter, fantastischer dagegen ein dunkler Riese: Satch Hoyt aus New York hat einen monumentalen Elfmeterschützen einzig aus den schwarzglänzenden „Zungen“, den Mittel-Laschen von hunderten Fußballschuhen gebaut.

Am stärksten ist der Eindruck in der großen Südgalerie des Hauses. Hier stehen in der Mitte des Raums zwei zusammengestürzte Fußballtore. Das ist der „Elefanten-Friedhof“ („Elephants Cemetery“) des Franzosen Jacques Julien, der sonderbar suggestiv kontrastiert zu einer überlebensgroßen Fotoporträt-Galerie des Stuttgarters Volker Schrank. Er hat zwischen 2003 und 2005 die deutschen Weltmeister von München 1974 nochmals in die heute fast ärmlich wirkenden Trikots von damals gesteckt. Aus ihnen schauen die 30 Jahre gealterten Spielerköpfe von Uli Hoeneß, Overath, Hölzenbein, Beckenbauer, Müller oder Katsche Schwarzenbeck auf einmal gespenstisch hervor – als seien die Augen allesamt in eine fern vergangene Zukunft gerichtet.

In die Zukunft blickt auch das „Büro für Desinformation“ von Michael Staab, das einen eigenen Raum hat. Hier sitzt an einem Billardtisch eine schöne, weißgekleidete Frau mit rätselhaft blutiger Nase: eine moderne Sibylle, die den Besuchern schon jetzt alle Fragen zur WM 2006 beantwortet. In einer Vitrine ruhen ein Stück realer Rasen vom WM-Finale in Rom 1990 sowie Klinsmanns linker Schuh von der WM 1998, und auf der Wand gegenüber sind die WM-Ergebnisse von 2006 schon fast alle aufgezeichnet. Deutschland hat im Achtelfinale Brasilien 2:1 geschlagen und steht wieder im Endspiel. Hier also haben die Fans endlich, endlich wieder was zu lachen.

„Rundlederwelten“ ab 20. Oktober bis 8. Januar im Berliner Martin-Gropius-Bau (Mittwoch bis Montag 10–20 Uhr; am 20. 10. freier Eintritt). Katalog 9,90 €.

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