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Kultur: Vorschau: All That Jazz

Bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik stellte eine Moderatorin verblüfft fest, dass selbstreferenziell und authentisch die am meisten genannten Stichworte dieser Tagung waren. Obwohl auch Roger Willemsen auf dem Wetten-Dass-Sofa im ZDF-Kasino Platz genommen hatte, ging es um so etwas profanes wie Spaß.

Bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik stellte eine Moderatorin verblüfft fest, dass selbstreferenziell und authentisch die am meisten genannten Stichworte dieser Tagung waren. Obwohl auch Roger Willemsen auf dem Wetten-Dass-Sofa im ZDF-Kasino Platz genommen hatte, ging es um so etwas profanes wie Spaß. Dabei gibt es doch eigentlich nichts Authentischeres als Jazz.

Ausgenommen vielleicht die Songs, die Jim White schreibt. Böse kleine Dinger aus dem amerikanischen Süden von einem Typen, der in Pensacola, Florida, aufwuchs, einem Kaff, in dem die Langeweile regiert, in dem es ein paar Waffengeschäfte gibt und Kirchen, nichts als Kirchen. Auf seiner aktuellen CD "No Such Place", die bei David Byrnes Luaka Bop-Label veröffentlicht wurde, singt White auch den Titel "God Was Drunk When He Made Me" - zorniger Country-Folk von einem Musiker, der wie die 2001 Version des Asphalt Cowboy posiert. Gerade wurde er für "No Such Place" mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Der 42-Jährige war früher professioneller Surfer und Model für italienische Anzüge, aber irgendwo hat er in einen Abgrund gesehen. Heute singt Jim White im Maria am Ostbahnhof Geschichten, die man von Tom Waits schon lange nicht mehr gehört hat (Beginn: 21 Uhr).

Wild, rau, höchst selbstreferenziell. Dem Authentischen auf der Spur sind Sie auch, wenn Sie am Samstag ins Quasimodo gehen. Dort steht Terry Callier auf der Bühne, der ebenfalls gerade eine neue CD herausgebracht hat, "Alive" (Mr. Bongo / EFA), aufgenommen im Londoner Jazz Café. Gil Scott-Heron hat mal gesagt, dass jeder mindestens eine Platte von Terry Callier besitzen sollte - ein guter Satz, positiv und konstruktiv, der bedingt, dass man auch eine CD von Scott-Heron in greifbarer Nähe weiß. Versuchen Sie es doch mal mit "Winter in America" oder "Spirits". Zu den neueren Songs von Callier zählt "Lament for the Late AD", den er Amadou Dialli gewidmet hat. Der wurde vor zwei Jahren Opfer der neuen New Yorker Polizeiwillkür - dreißig Kugeln wurden damals auf den unbewaffneten Mann abgefeuert. Callier macht engagierten Singer / Songwriter-Jazz mit Soul und politischer Haltung, und wenn die Band so gut ist wie auf "Alive", dann geht es am Samstag identitätsstiftend zur Sache (Beginn: 22 Uhr 30).

Am Dienstag ist der Saxofonist Michael Brecker im Tränenpalast und hier beginnt nun die Authentizitätskonstruktion etwas zu bröckeln. Als Brecker Brother war er ja mal höchst angesagt, und auch als mit dem Fusiongedudel Schluss war, schaffte er es, am Ball zu bleiben. Der Saxofonist Sonny Rollins hat das Phänomen jüngst erst wieder thematisiert. Für ihn war der Brecker-Hype, den viele Jazzveranstalter stetig schürten, in dem sie den Saxofonisten als Headliner buchten, während Wayne Shorter, Joe Henderson und Rollins selbst nur in der zweiten Reihe angekündigt wurden, einem unterschwelligen Rassismus zu verdanken. Brecker ist so weiß und folglich so wenig authentisch wie der einst zum King of Swing hochstilisierte Benny Goodman es war, sagt Rollins, doch Jazz sei nun mal schwarz. Womit die spannende Frage wieder auf dem Tisch wäre, ob es tatsächlich einen schwarzen Sound gibt oder doch nur die Einbildung davon. Wie authentisch ist Michael Brecker wirklich, ist alles nur geklaut, alles nur abgespielt, alles nur ne Nummer schneller? Oder hat sich Rollins mit dieser Bemerkung nur einen (bösen) Spaß erlaubt?

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