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Kultur: Vorschau: Babel & Co

Was fällt Ihnen zu Lessing ein? "Nathan der Weise"?

Was fällt Ihnen zu Lessing ein? "Nathan der Weise"? Brav. Dieses "dramatische Gedicht in fünf Aufzügen" ist ein Weihestück der religiösen Toleranz zwischen Juden, Christen und Moslems. Es beharrt darauf, dass bei allen Unterschieden der Lehre uns allen eines gemeinsam ist: Ein Mensch zu sein. Nur ist das eine leider sehr unspezifische Erkenntnis. Zu Lessings Zeiten musste sie erst einmal gegen aristokratische Bessermenschen erkämpft werden, und die Teilnahme an diesem Kampf, den man gemeinhin "Aufklärung" nennt, macht Lessing zu einem "Großen". Aber von heute aus gesehen, hat man doch sehr das Gefühl, dass diese Einsicht womöglich etwas Schulstubenhaftes hat, etwas Didaktisches, Appellatives, das der geschichtlichen und politischen Wirklichkeit womöglich nicht standhält. Wenn man dem religiösen Menschen die Religion abschält, kommt vielleicht gar kein irgendwie allgemeinmenschlicher Mensch zum Vorschein, vielleicht kommt dann gar nichts zum Vorschein. Wie bei einer Zwiebel. Nach der Schale kommt die nächste Schale und wieder die nächste und so weiter, bis von der Zwiebel nichts mehr übrig ist. Morgen um 20 Uhr spricht Willi Jasper im Centrum Judaicum über "Lessing - Aufklärer und Judenfreund" (wegen der Sicherheitskontrollen den Personalausweis mitbringen).

Anders als Lessing, der die Religionen als Stufen in der "Erziehung des Menschengeschlechts" aufgefasst hat, liest Jack Miles die Bibel als das, was sie ist: Eine Story. Seine "Biografie" Gottes, mit der er vor fünf Jahren die Theologen herausgefordert hat, wurde nun durch "Jesus. Der Selbstmord des Gottessohns" ergänzt. Im "Prolog" heißt es: "Jeder Täter war zuvor ein Opfer. Hinter jedem Verbrechen steckt eine sich über Jahrtausende erstreckende Geschichte früherer Verbrechen, von denen jedes auf seine Weise ein mildernder Umstand ist. Doch bei wem endet schließlich dieser unendliche Regress, wenn nicht bei Gott?" Morgen um 20 Uhr spricht Jack Miles in der American Academy.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Uhrzeiger für eine Stunde angehalten, wir können "eine Stunde länger schlafen", wie man zu sagen pflegt. Oder man kann diese "geschenkte Stunde" im Tacheles in der Oranienburger Straße verbringen. Ab 19 Uhr findet dort unter diesem Titel ein riesiges Literatur-Event statt mit Performance und Film, mit Promis und Promille, mit Autoren, Schauspielern und Politikern. Die Liste der Teilnehmer ist lang und beeindruckend, sie reicht von A wie Adorf bis zu Z wie Zähringer. Mario Adorf liest aus seinem Buch "Der römische Schneeball", Norbert Zähringer aus seinem Roman "So". Außerdem kommen, um nur ein paar weitere Namen herauszupicken, zu Wort: Delius, Illies, Schneider, Hoppe, Wagner, Klüssendorf, Krausser, Beigbeder, Erkan und Stefan, Merkel und Wowereit. Aber nicht Angela, sondern Rainer Merkel, der auch Rainer Merkel liest. Wowereit wiederum ist zwar der Klaus, er liest aber nicht Klaus Wowereit, sondern Alfred Döblin. Jedenfalls wenn es bei der Ankündigung bleibt. Schließlich könnten die Wahlergebnisse andere Aufgaben dringlicher machen. Aber zur Not können Sie den Döblin auch selber lesen. Zum Beispiel Döblin über Döblin: "Ich nähere mich jetzt den Vierzig. Viele graue Haare habe ich an den Schläfen, vieles, was mich früher sehr gelockt hat, ist mir jetzt nichts. Ich gehe über die Straßen, sehe stolze Wagen fahren - und ich bin neidisch; ich möchte auch eine Ruhe haben, die Sorge los sein, die sich mir immer nähert."

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