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Kultur: Vorschau: Schreibwaren

Etwas später als andere Branchen hat es inzwischen den Literaturbetrieb erwischt: Siebzehnjährige umwerben mit ihren Ergüssen nicht mehr nur die Angebetete, sondern gleich die Verlage. Einige wurden schwach und mussten es nicht bereuen.

Etwas später als andere Branchen hat es inzwischen den Literaturbetrieb erwischt: Siebzehnjährige umwerben mit ihren Ergüssen nicht mehr nur die Angebetete, sondern gleich die Verlage. Einige wurden schwach und mussten es nicht bereuen. Die Debüts der Jungen verkaufen sich nämlich oft gut. Zahlenmagie kann dabei nicht schaden: "20 unter 30" heißt eine bei DVA erschienene Anthologie. Viel schöner ist der Titel, den sich die Literaturwerkstatt für den Abend mit Mitherausgeber Martin Brinkmann, Silke Scheuermann und Tobias Hülswitt hat einfallen lassen: "Zwischen Magersucht und Babyspeck" (Kulturbrauerei, 8.5. 20 Uhr). Über beides glücklich hinweg ist der ehrwürdige Moderator Gregor Dotzauer vom Tagesspiegel.

Jung und Schreibblockade? Oder älter und immer noch nicht flüssiger? Dann gehen sie am selben Abend besser in die Sprechstunde von Frau Dr. Ginka Steinwachs, der einzigen deutschen Surrealistin. Ihr Vortrag (Literaturforum, 8.5., 20 Uhr) handelt von der "oralen Urszene": "Der Mund ist aufgegangen" - und einige Stilblütlein prangen, mutmaßlich, am Gaumenzelte. So fahr-lässig geht das, wenn man Ginka Steinwachs nur einige Minuten lang zuhört und "Vom Redefluss zum Schreibfluss" gelangt.

Hartmut Köhler hat rechte Köhler-, Verzeihung: Kärrnerarbeit hinter sich. Er übertrug die über 1000 Seiten von Baltasar Gracians "El Criticon" ins Deutsche. Das Werk kostete den Jesuitenpriester 1657 den Lehrstuhl und trug ihm die Verbannung bei Wasser und Brot unter Entzug von Feder und Tinte ein. Freunde erreichten eine Milderung der Strafe, doch Gracian starb bald darauf. "El Criticon" erzählt in barocken Sprachkaskaden von einer Reise durch Spanien, Frankreich und Italien zur Erkenntnis. Alles in dem Buch ist allegorisch. In diese fremde Welt des Priesters, dessen Lebenskunst der Kälte die zwanziger wie die achtziger Jahre faszinierte, führt Hartmut Köhler ein (Literarisches Colloquium, 8.5., 20 Uhr).

"Sich verirren ist der einzige Ort, den anzusteuern sich lohnt", behauptet Tiziano Scarpa (Italienisches Kulturinstitut, 13.5., 20 Uhr) in "Venedig ist ein Fisch" (Wagenbach). Sein gebildeter Plauderton befolgt die Maxime und lässt den bekannten Reiseort nur eine kleine Nebenrolle spielen. Das enfant terrible der jungen italienischen Literatur erzählt also, warum die Brücken über den Kanälen sämtlich schief und krumm sind, und es erinnert sich gern der Überschwemmungen, bei denen die Touristen glücklich barfuß auf die "unsichtbare Hundekacke" treten. Und "immer gibt es irgendeinen, der ganz selig ist, sich totlacht, jubelt und nicht merkt, dass er sich dem Ende einer Gasse nähert und ihm gleich der Grund unter den Füßen schwindet; er aber schreitet fröhlich dahin, bis er im Kanal versinkt."

Abgründe anderer Art beschreibt die Israelin Savyon Liebrecht in ihrem Erzählungsband "Die fremden Frauen" (dtv). Die junge Pflegerin aus den Philippinen wird von dem Vater der Erzählerin um diskrete Handreichungen gebeten. Die Tochter ist entsetzt. Doch ihr Familienbild stürzt erst in sich zusammen, als sie den Grund erfährt. Savyon Liebrecht hat sich mit dem Fremden auch politisch auseinander gesetzt: Gemeinsam mit David Grossmann und anderen traf sie sich jahrelang unter schwierigsten Umständen mit palästinensischen Autoren (Marga Schoeller Bücherstube, Knesebeckstr. 33-34, 20.30 Uhr).

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