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Kultur: Wahn, Wahn

Theater in Hamburg: Lorca am Thalia, Tarkowskij am Schauspielhaus

Ein kleines Kruzifix hängt weit weit oben an einer kahlen, weißen Wand – der Betonwand von Bernarda Albas Haus. Es ist so unscheinbar wie bedeutungsvoll. Denn geich zu Beginn streckt Bernarda Alba (Verena Reichhardt) flehend nach ihm die Arme aus, schlägt daraufhin verzweifelt gegen die Wand, kniet still nieder und fällt schließlich leblos zu Boden. Sie ist Witwe geworden, sie trägt Schwarz, sie trauert.

Pathetisch und klar eröffnet Andreas Kriegenburg Lorcas Frauentragödie, mit großen Gesten in großen, leeren Räumen – schließlich hat er sich diesmal selbst das Bühnenbild entworfen. Die Wand hebt sich, das Jesulein verschwindet, und der Blick ist frei auf ein dahinter liegendes Podest. Dort baumeln die fünf hässlichen Töchter Bernardas vor vergitterten Fenstern. Sie sind ebenfalls in schlichtes Schwarz gehüllt (Kostüme: Andrea Schraad) und wiederholen chorisch – bedrochlich soll’s wohl sein – das Gelübde der strengen Mutter. Acht Jahre Trauerzeit und Schweigen. Acht Jahre lang kommt nicht einmal der Wind ins Haus.

Das sind gar keine hoffnungsvollen Aussichten, und schon macht sich der Wahnsinn breit. Da wird wild geschrien, gespuckt, gefesselt und geschlagen: Neid, Hass, Eifersucht und Tränen eben. Denn die Schwestern lieben – mangels Angebot – alle denselben Kerl: Pepe. Er ist jedoch der Ältesten versprochen. Und so darf nur Angustias (Victoria Trautmannsdorff) sich nächtens mit ihm zum Fensterln treffen. Anderntags zelebriert sie dann die schon verblassende Erinnerung, führt sehnsuchtsvolle Selbstgespräche, schminkt und entkleidet sich so naiv wie verzweifelt vor dem gerahmten Konterfei des Geliebten. Das ist eine der wenigen berührenden Szenen der Inszenierung. Einer Inszenierung, in der Kriegenburg für jede Szene nach einer passenden Kunstform zu suchen scheint und sich in aufdringlichen Wortwiederholungen, zappelnder Choreografie und heftigem Frontaltheater verliert.

Freuen kann man sich noch über die Auftritte von Katharina Matz. Wenn sich die verdrehte, verwirrte Mutter Bernardas kindlich mit Glitzerschmuck behängt und sich in Blut getauchte Taschentücher blütengleich ins Haar steckt, dann erlebt man eine gruselige Ahnung jenes Wahnsinns, der die lebendig Gefangenen bereits ergriffen hat.

Der Wahnsinn ist auch im Schauspielhaus nicht weit, betrachtet man die Personnage in „Opfer“, die sich recht seltsam benimmt. Doch das ist verzeihlich, denn „Opfer“ ist eine sehr eigenwillige poetische Parabel, die letzte, die Andreij Tarkowskij verfilmt hat. Nun hat sie Sebastian Hartmann auf die Bühne geholt, die er wiederum – wie Kollege Kriegenburg – selbst entworfen hat.

Hartmanns Landhaus ist naturalistisch, das Gras verdorrt und der Morgennebel dicht. Dort feiert Familienvater Alexander (Peter René Lüdicke) Geburtstag. Er sinniert und philosophiert über Gott, Nietzsche und die Welt, trägt sein „Jungchen“ in den Armen (ein wunderbares Bühnen-Kind: Alexander Kapp), diskutiert, lacht und – brüllt. Brüllt sich plötzlich die Seele aus dem Leib, völlig unvermittelt, und man ahnt: Dieser Mensch ist von anderer Natur. Er ist es auch. Denn er trennt sich – um einen drohenden Atomkrieg abzuwenden – für immer von Haus und Familie, verzichtet auf alles Weltliche und hüllt sich in ewiges Schweigen. Aus demselben Grund schläft er zuvor noch mit Maria, seiner Hausangestellten (Klasse: Cordelia Wege).

Sebastian Hartmann wird nicht müde, für Tarkowskijs religiös hoch aufgeladenen Film immer wieder neue Bilder und Stimmungen zu erfinden. Dazu dreht er etwa das Häuschen, lässt es in die Unterbühne versinken oder in die Gegenrichtung hinauffahren. Es gibt buntes Licht von allen Seiten, eine Videoprojektion aufs Hausdach, Regen und besagten Nebel. Die Bilder sind beeindruckend, die Atmosphäre ist es auch. Doch manch himmlischer Lichtstrahl ist viel zu dick, manches „Vater unser“ – Verzichtsgelübde inklusive – schlicht plump.

Interessant, denkt man, so ähnlich oder ganz anders war es im Film, und freut sich, dass man diesen erst jüngst gesehen hat. Hartmann aber inszeniert einen sehr blutigen, sehr radikalen Schluss. Einen – im Gegensatz zu Tarkowskij – ohne jede Hoffnung, ohne weiter wachsendes Kirschbäumchen. Doch denen, die den Film nicht kennen, bleibt wohl – neben vielen Fragezeichen – vor allem viel hohles Pathos.

Lorcas „Bernarda Albas Haus“ spielt das Thalia Theater wieder am 24. und am 25. April.; Tarkowskijs „Opfer“ wird am Schauspielhaus wieder am 25. April gespielt.

Katrin Ullmann

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