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Cyborg auf Selbstfindung. Die Manga-Verfilmung "Alita: Battle Angel" beschäftigt sich mit Transhumanismus.

© imago/20 Century Fox

Sex und KI: Wahre Roboter küssen nicht

Die Kulturwissenschaftlerin Sophie Wennerscheid ergründet in ihrem Buch „Sex Machina“ die Freuden der nichtmenschlichen Liebe.

Von Gregor Dotzauer

Die Liebe zu Maschinenwesen ist ein Fall für Fantasien und Fiktionen. Noch wüten in Los Angeles keine Replikanten, wie sie Ridley Scotts Kinomärchen „Blade Runner“ für das Jahr 2019 vorhersah. Und Hubots mit einem rebellischen Selbstbewusstsein, wie in der schwedischen Serie „Real Humans“, sind ein Hirngespinst. Wenn man die Intelligenz von Siri und Alexa zum Maßstab nimmt, werden sie es auf unabsehbare Zeit auch bleiben, ohne dass man einen Gedanken auf die philosophische Möglichkeit von Cyborgs verschwenden müsste.

Was die Träume von romantischen Beziehungen zu solchen halb mechanischen, halb organischen Geschöpfen befeuert, ist inmitten der Debatten um den Siegeszug der Künstlichen Intelligenz nicht ihre bezaubernde Unkonkretheit. Es ist eher der mit Chips und Prothesen optimierte Mensch, der auf ein neues Dasein zuwächst. Das Verhältnis zu Drohnen, Militär- und Pflegerobotern ist schon deshalb klarer, weil ihnen eine Wirklichkeit entspricht, die sich moralisch bewerten lässt. Man hat es mit scheinautonomen Sklaven zu tun, die sich im Guten wie im Schlechten an das halten, worauf Menschen sie programmiert haben.

Selbstversuch in pornografischen Cyberwelten

Der erotisch attraktive Hybrid dagegen muss lebendige Interaktion durch Rückkopplungseffekte wenigstens simulieren. Er ist die ultimative Bewährungsprobe für die Ebenbürtigkeit von künstlicher und natürlicher Intelligenz – und das entscheidende Gedankenexperiment, in dem sich der Mensch darüber verständigt, ob er sich sein Bewusstsein womöglich nur vorgaukelt. Ein begehrenswerter Hybrid ist der Revolutionär in der Ordnung der Arten, wenn es darum geht, den Dualismus von Natur und Kultur umzustoßen. Und er ist der Gestalt gewordene Bote einer Zeit, die Intimität buchstäblich auf den Markt wirft.

Sophie Wennerscheids Studie „Sex Machina“ nähert sich dieser „Zukunft des Begehrens“ aus mehreren Richtungen. Ihr gut lesbares Buch ist eine kulturwissenschaftliche Revue aller jüngeren Techno-Diskurse rund um das Thema Sexualität. Sie berichtet von Reproduktionsmedizin im Spannungsfeld jenes demiurgischen Handelns, das Sibylle Lewitscharoff 2014 in ihrer Dresdner Rede verdammte, und jener biotechnologischen Emanzipation vom Naturschicksal, die Peter Sloterdijk 1999 in seinen „Regeln für den Menschenpark“ beleuchtete. Sie begibt sich im Selbstversuch in die pornografischen Welten des Berliner Cybersex-Startups vrXcity, und sie geht der Fetischisierung von Sexpuppen nach.

Die verbindende Pointe ihrer Zusammenschau besteht in ihrem Zweckoptimismus. Ein ums andere Mal bemüht sie sich, den technologischen Möglichkeiten auch gegen deren Kommerzialisierung und männliche Indienstnahme ein befreiendes Moment abzugewinnen. Nirgends tut sie es radikaler als im entschlossen feministischen Plädoyer, sich mit der Gesamtheit der eigenen Affekte auch einmal nichtmenschlichen Agenten hinzugeben. Sophie Wennerscheid setzt nicht auf die Ersatzfunktion der humanoiden Maschine, sondern auf ihr fundamentales Anderssein. Daher misstraut sie auch der Annahme, dass Robotersex nur eine sozial verträglichere Variante der Prostitution sei.

„Nur dann“, erklärt sie, „wenn Roboter oder wie auch immer definierte posthumane Wesen als andere im starken Sinne und nicht als anthropomorphes Alter Ego konzipiert und entsprechend wahrgenommen werden, wird es zu einem sexuell reizvollen, emotional interessanten und unser menschliches Selbstverständnis und Sein erweiternden Miteinander kommen.“ Wennerscheids Werkzeugkasten enthält dabei mindestens so viel posthumanistische wie queere Theorie.

Mit Paul B. Preciado argumentiert sie für einen Abschied vom „Ancien Régime der Sexualität“, bei dem mit dem Heterozentrismus auch gleich der Anthropozentrismus zu Fall kommt. Mit der Techno-Urfeministin Donna Haraway, die gegen den Öko-Pessimismus im Zeitalter des Anthropozän jüngst noch ein hoffnungsvolleres „Chthuluzän“ erfand, ruft sie zur artenübergreifenden Konstruktion neuer Verwandtschaften auf.

Mit Rosi Braidotti votiert sie für eine „nomadische Subjektivität“, die sich mit den unterschiedlichsten Wesenheiten verbünden kann. Und mit Karen Barad setzt sie Vertrauen in die Berührbarkeit durch Materie aller Art.

Auch in der Andersartigkeit braucht es eine gleichwertige KI

Für die zumeist angelsächsischen Theorien, auf die sie Bezug nimmt, gibt es hierzulande Nachholbedarf, aber auch die Not einer analytischen Nachbearbeitung. Dafür interessiert sich Sophie Wennerscheid deutlich weniger als die Stuttgarter Philosophin Catrin Misselhorn, die bei Reclam kürzlich eine mustergültige Einführung in „Grundfragen der Maschinenethik“ vorgelegt hat. Als angewandte, gleichfalls überwiegend aus dem Angelsächsischen stammende Moralphilosophie überschneidet sich ihr Buch in vielem mit den Fragen von „Sex Machina“. Neben populären Problemen wie dem autonomen Fahren untersucht Misselhorn auch Fundamentales – etwa was eine moralische Person von einem bloßen Agenten unterscheidet.

Ein Manko ist auch der Verzicht auf den sexualphilosophischen Diskurs, den der analytische US-Philosoph Thomas Nagel 1969 mit seinem überholten, aber nach wie vor anregenden Aufsatz „Sexuelle Perversion“ anstieß (auf Deutsch in „Philosophie und Sex“, dtv 2000). Das Hauptproblem liegt aber darin, dass Sophie Wennerscheid die Differenz von Mensch und Maschine einerseits absolut setzt und andererseits in der sexuellen Erfahrung aufhebt. Denn nur wenn eine der psychophysischen Ausstattung des Menschen gewachsene, selbst in der Andersartigkeit mindestens gleichwertige KI denkbar ist, kann es mit dem nichthumanoiden Roboter ein Gegenüber „im starken Sinne“ geben. Sonst bleibt die Begegnung bei der Selbstbefriedigung stehen.

Haben Roboter Rechte wie Tiere?

Von einer klaren Antwort darauf hängt nicht zuletzt die Entscheidung ab, ob Maschinenwesen Rechte zustehen, wie sie Tiere beanspruchen dürfen. Wenn körperliche Ähnlichkeit schon kein Kriterium ist, so geht es doch nicht ohne ein kreatürliches Element. Ohne Sorge um die Verletzlichkeit von Maschinenwesen, um die Möglichkeit, ihnen auf die eine oder andere Weise Schmerz zuzufügen, ist eine Beziehung so gut wie ausgeschlossen. Unter den jetzigen Umständen liegt nun einmal mehr Gewalt darin, einer Fliege ein Bein auszureißen, als einem Roboter den Arm abzuhacken.

Auch aus anderen Gründen überschätzt Wennerscheid den Gewinn einer unfleischlichen Sexualität. Sie muss im reinen Sexualakt, was immer man sich darunter vorstellen soll, nicht zwangsläufig unbefriedigender verlaufen als mit Menschen. Nachdem das mechanische Repertoire körperlicher Stimulation begrenzt ist, liegt das Verheißungsvolle der Begegnung mit dem Nicht-Humanoiden langfristig dennoch in der Erfahrung seiner spezifischen Individualität. Worin aber soll sie liegen, wenn man auf Verführung, die Haut als Außengrenze des anderen und auf den Geruch eines fremden Stoffwechselsystems verzichten muss?

Man sollte nicht vorschnell anthropologische Normen beschwören

Ein Rest magischen Denkens gehört zur Grundausstattung des Menschen. Das Kind, das seinen Stoffbären nicht als stumm und unbeseelt empfindet, gehört genauso dazu wie das Liebespaar, das über Tausende von Kilometern hinweg aneinander denkt und dann im selben Moment zum Telefon greift. Das Kind entwickelt in solchen Beziehungen zweifellos ein Verhältnis zu sich selbst. Doch was gilt für Erwachsene? Beschädigt die Liebe zu einem Roboter das Verhältnis zum menschlichen Partner? Entlastet sie diesen? Fällt sie unter Untreue? Ist Eifersucht erlaubt? Ist sie ein finanziell exklusives Vergnügen, das neue Gerechtigkeitsfragen aufwirft? Muss man mit Entfremdung von der eigenen Art rechnen?

Man sollte nicht ohne Not anthropologische Normen beschwören, ohne über praktische Erfahrungen mit dem zu verfügen, was sie möglicherweise außer Kraft setzt. Umgekehrt kann man schon jetzt sinnvoll darüber nachdenken, welche Projektionen dem Begehren unter Menschen zugrunde liegen. Man kann sich mit den kulturellen Präfigurationen romantischer Liebe auseinandersetzen. Wer über all das spekuliert, tut jedenfalls gut daran, das greifbare Alte nicht vorschnell zugunsten eines imaginären Neuen zu verwerfen.

Sophie Wennerscheid: Sex Machina. Zur Zukunft des Begehrens. Matthes & Seitz, Berlin 2019. 240 Seiten, 24 €.

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