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Kultur: Wahre Werte

Eine

von Bernhard Schulz

Wenn es denn stimmt, dass Regierungen und Koalitionen erst dann an die Macht kommen, wenn die in ihr gespiegelten gesellschaftlichen Veränderungen bereits eingetreten sind, dann müsste die derzeit einzig aus machttaktischen Gründen beworbene „Jamaica“Koalition in der Realität bereits verankert sein. Tatsächlich gibt es die krampfhaft gesuchte Schnittmenge zwischen Schwarz und Grün bereits. Vielleicht nicht bei der Steuer- und gewiss nicht bei der Außenpolitik, wohl aber in Sachen Kultur. Zwar ist die Kultur kein Sachgebiet, das in den Parteisondierungen jetzt schon eine Rolle spielte. Aber wer in der Union sich an den Wechsel von Kohl zu Schröder erinnert, sollte nicht vergessen, dass 1998 nicht allein die Arbeitsmarktversprechen des SPD-Kandidaten den Ausschlag gaben, sondern ebenso die gesellschaftliche Grundstimmung, die ihn und seine angestrebte Koalition trug.

Kultur bloß als ordnungspolitische Aufgabe und juristisches Terrain für Rahmengesetzgebung zu begreifen, wie sich der Unions-Kulturministerkandidat Norbert Lammert bislang vernehmen lässt, greift entschieden zu kurz. Auf Seiten der Grünen fehlt ihm allerdings derzeit ein Ansprechpartner, der solcher geistigen Selbstbeschränkung Paroli bieten könnte. Antje Vollmer, deren scheidende kulturpolitische Sprecherin, würde die denkbare Schnittmenge geradezu personifizieren. Denn das auf Kultur als Eigenwert pochende Kulturverständnis des gutbürgerlichen Zweigs der Grünen hat niemand überzeugender vertreten als Antje Vollmer, die Kunstliebhaberin und Bayreuth-Begeisterte. Ihre konservative Grundüberzeugung reicht weit in die grüne Wählerschaft hinein – nicht minder als in die der Union. Dieses wertorientierte Kulturverständnis meint etwas fundamental Anderers als die sozialintegrative Dienstleistung der rosaroten SPD oder das Kommerz-Event der gelben FDP. Die bei der Union etwas verkniffen betrachtete Förderung zeitgenössischer Kunst darf man dabei als bunte Einsprengsel ins bewahrende Kulturbild verstehen. Dass es aber einen Kernbereich kultureller Schöpfungskraft gibt, der frei bleiben muss vom nackten Marktradikalismus der FDP, das teilen Union und Grüne – jedenfalls soweit sie bürgerlichen Selbstverständnisses sind. Die ökonomie-fixierte FDP steht denkbar abseits. Gleichwohl – „Jamaica“ rückt näher, wenn sich die beiden wertkonservativen Parteien nicht über Steuern und Arbeitslosengeld beharken, sondern über den kulturellen Kern unserer Gesellschaft verständigen. Der steht für eine erdrückende Wählermehrheit nicht zur Disposition. Die Parteien – alle Parteien – müssen es nur merken.

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