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Museumsführer. In Berlin präsentiert Walid Raad seine Schau persönlich. Bei Gastspielen anderswo setzt er Schauspieler ein – wie auf diesem Bild. Der Künstler selbst lässt sich nicht fotografieren.

© Piet Janssens

Arabische Kunst: Walid Raad: Versteckte Farben

Der Performancekünstler Walid Raad erklärt im HAU Geschichte und Gegenwart der arabischen Kunst - und dem Besucher schwirrt aufs Anregendste der Kopf.

Eine Revolution ohne Schüsse, ohne Blut. Die arabische Kunst befindet sich im Umsturz, eine neue Zeit hat begonnen – und Walid Raad ist sich nicht sicher, ob sie gut ist. Beispiel Abu Dhabi: Hier baut Norman Foster ein Nationalmuseum, Frank Gehry eine Guggenheim-Filiale, Jean Nouvel einen Louvre-Ableger. Nebenan entstehen das Maritime Museum von Tadao Anda und Zaha Hadids Arts and Performance Center ... Irgendwann wird das Öl zur Neige gehen. Die Scheichs investieren schon in neue Werte: in Kunst.

Walid Raad, 1967 im Libanon geboren und inzwischen US-Bürger, hat einen Boykott gegen das Abu Dhabi Guggenheim initiiert: 130 internationale Künstler haben den Streikaufruf unterschrieben. In Zusammenarbeit mit Human Rights Watch protestieren sie gegen die Ausbeutung der Arbeiter auf der Baustelle.

Bei der Präsentation seiner „Kunstgeschichte der arabischen Welt“ auf der Bühen des HAU 1 erwähnt Walid Raad seine politischen Aktivitäten nicht, ihm geht es um größere Zusammenhänge, die Bedeutung des Strukturwandels für die Kunst. Der Abend mit dem Titel „Scratching on things I could disavow“ („An Dinge rühren, die ich verleugnen könnte“) ist eine minutiös recherchierte Inspirationsveranstaltung. Wie Raad 50 Minuten lang, in präzisem, bestens verständlichem Englisch, Politik mit Poesie verbindet, Psychologie mit Kunst, das ist so leichtfüßig und schwerwiegend, dass dem Besucher aufs Anregendste der Kopf schwirrt.

Auch deshalb, weil die Form, die Raad findet, so ungewöhnlich und kraftvoll ist. „Scratching on things ...“ ist eigentlich eine Führung durch eine Kunstschau, das Publikum sitzt zunächst auf Schemeln, während Raad doziert, ein dynamischer Glatzkopf mit randloser Brille, dann zieht die Gruppe weiter, vor Stellwände, Projektionen und Skulpturen.

Die Rolle passt zu Raad, neben seinen Performances lehrt er an der kleinen Kunsthochschule Cooper Union in New York. Sein Text steht fest, bei Gastspielen in anderen Städten haben schon Schauspieler seinen Part übernommen. Und doch besteht selbst bei schelmenhaften, leicht fantastischen Passagen, kein Zweifel daran, dass Raad hier Realität verhandelt, historische Fakten, aktuelle Probleme. Nur erzählen eben Fakten allein manchmal nicht die ganze Geschichte.

Etwa die von Raads Ausstellung, 2008 in der Galerie Sfeir-Semler, dem ersten white cube in Beirut. Zwei Mal hatte er die Einladung abgesagt, die Arbeiten seines Projekts „The Atlas Group“ hier zu zeigen, das sich mit den psychologischen Auswirkungen des libanesischen Bürgerkriegs beschäftigte. Als Raad doch zustimmte und die Schau aufgebaut war, erzählt er, „waren alle meine Kunstwerke auf ein Hunderstel ihrer Größe verkleinert“. Die Gruppe versammelt sich um ein Modell, eine Galerie im Puppenhausformat, winzige Bilder an den Wänden.

Eine Allegorie, die zum Angstbild wird, zusammengedacht mit Raads Bericht von den riesigen neuen Kunsttempeln, die da in den Sand von Dubai gebaut werden, mit der Videoprojektion von leeren Ausstellungsräumen, mit dem zweidimensionalen Modell einer dreidimensionalen Raumflucht. Klar wird: Hier ist etwas falsch, verzerrt, hier wird die Kunst zugerichtet und zurechtgeschrumpft, wird Mittel zum Zweck, wird Spekulationsgut, dessen Marktwert Kursschwankungen unterworfen ist. Letzteres beschreibt Raad anhand eines wandgroßen, detaillierten Diagramms, das für sich genommen schon ein dokumentarisches Großprojekt darstellt. Dabei wendet sich der Künstler nicht gegen den Markt, maßt sich auch kein Urteil über die Motive der Großinvestoren an. Er kritisiert, dass die Milliarden-Infrastruktur gar nicht nach den Bedingungen und Bedürfnissen der zeitgenössischen arabischen Kunst fragt.

Denn vielleicht braucht die gar kein Guggenheim. Weil sie ganz andere Probleme hat. Sie muss sich erst wieder an ihre Traditionen erinnern. Denn ihre Farben, und Formen – hier übernimmt Walid Raad einen Gedanken des libanesischen Intellektuellen Jalal Toufic – wurden durch die vielen Kriege und Bürgerkriege vertrieben und verstecken sich nun. Wo? Eine Wand mit gerahmten, bunten Tafeln zeigt es: Die Farben und Formen tarnen sich als Buchumschläge und Kataloge, Diagramme und Dissertationen. Sie „überwintern“ nicht in den Werken selbst, sondern in ihrem Umfeld. Das Nachdenken über die Kunst, die Suche nach alten und neuen Formen – das ist das Mittel, das Verborgene wieder hervorzulocken. Walid Raad hat hierfür einen Weg gefunden.

Wieder 26. 6. und 28. - 30. 6., 19 und 21 Uhr, HAU 1, Stresemannstr. 29

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