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Kultur: Waren wie wir

Utopie bleibt machbar: Die Sterne feiern mit ihrem neuen Album „Räuber und Gedärm“ eine Wiederauferstehung

Die Bohème hat einen neuen Namen: „Urbane Penner“. Sie bevölkern mit ihren Laptops die Cafés der Großstädte, bis spätnachts sieht man sie in den Schaufenstern leergeräumter Ladenlokale sitzen, die jetzt Büros sind. Sie kennen keine Freizeit, arbeiten unentwegt an „Projekten“, entwerfen Websites, Mode, Möbel, schreiben flammende Pamphlete oder wenigstens eine Dissertation. Urbane Penner sind die Avantgarde der sich flexibilisierenden Arbeitswelt: jung, dynamisch, unterbezahlt. Seitdem ein Berliner Stadtmagazin das Phänomen beschrieb, tobt auf den Leserbriefseiten des Blattes eine Debatte. Ist jemand wirklich arm, der immerhin 1000 Euro im Monat hat, notfalls finanziert von Papi oder Mutti? Und verhöhnt nicht schon der Begriff „Urbane Penner“ jene Allerärmsten, die tatsächlich auf der Parkbank oder in Obdachlosenasylen schlafen?

„Ich bin billig, ich bin billig, ich bin billig – nimm mich mit“, skandiert Frank Spilker. Seine Stimme klingt rau und wütend, sie stemmt sich dem Getöse der Gitarren und dem Pumpen des Basses entgegen. Billig, billig, billig: ein Mantra, ein Aufschrei. Dann ein Break, der Krach stürzt in sich zusammen, der Sänger singt nun wirklich, er säuselt: „Viele Sachen sind viel zu teuer und kosten, sagen wir einfach mal zehn / Ich nehme viel weniger, weil ich der Meinung bin, es muss auch günstiger gehen.“ Das Stück heißt, logisch, „Ich bin billig!“, man könnte es für einen Kommentar zur zunehmenden Aldi- und Lidlisierung einer Gesellschaft halten, in der längst alles zur Ware geworden ist. Aber zum Protestsong fehlt der Biss, Spilker und seine Band Die Sterne verweigern die Parolen. Das Dagegensein schlafft immer gleich wieder ab, eigentlich könnte ja alles auch noch schlimmer kommen. „Posen“ – so der Titel eines ihrer frühen Alben – sind ohnehin wichtiger als Politik.

Kritik am Gegenwärtigen – „Fickt das System“ hieß eine frühe Single der Sterne – ist in ihren aus Redensarten, Selbstauskünften und Halbweisheiten zusammengestückelten Texten immer auch Kritik am eigenen Ich. „Die Zeit läuft ab und du bist noch immer irgendein Arschloch oder Besserwisser“, heißt es in der Gitarrenkeyboardballade „Am Pol der Macht“, einem der schönsten Stücke ihres neuen, gerade erschienenen Albums „Räuber und Gedärm“. „Und egal, wie viele Päpste sterben, es ist noch nicht vollbracht / Du bist wohl immer noch nicht nah genug am Pol der Macht.“ Spilker will kein Erlöser sein, der am Kreuz mit letzter Kraft seinen Peinigern vergibt: Es ist vollbracht. Seine Mission, so muss man das wohl verstehen, ist noch nicht vollendet. Der Kampf geht weiter.

Seit fast zwanzig Jahren gibt es die Sterne nun. Eigentlich hatte man sie bereits abgeschrieben, die letzten Veröffentlichungen „Irres Licht“ (2002) und „Das Weltall ist zu weit“ (2004) wirkten müde und ratlos. Mit „Räuber und Gedärm“, ihrem achten Studioalbum, feiern sie eine kleine Wiederauferstehung: So kraftvoll und interessant haben sie mindestens seit „Von allen Gedanken schätze ich am meisten die Interessanten“ (1997) nicht mehr geklungen. Die Sterne stammen aus Hamburg, wo es – boomende Wirtschaft, hohe Lebenshaltungskosten – schon immer etwas anstrengender war, zur Bohème zu gehören, als in Berlin. Trotzdem hat die Hansestadt die besten kapitalismuskritischen Bands der Post-Ton-Steine-Scherben-Ära hervorgebracht. Gruppen wie die Goldenen Zitronen, Blumfeld, Tocotronic und Kante arbeiten seit den frühen neunziger Jahren an einem deutschsprachigen Pop, der Lässigkeit und Überbau vereint.

Die Sterne gehören zu den Veteranen dieser „Hamburger Schule“, einer Zuordnung, die sie – wie alle Kategorisierungen – natürlich ablehnen. Spilker hatte die Sterne schon als Schüler in Bad Salzuflen gegründet. Nach seinem Umzug nach Hamburg fand der Sänger und Gitarrist neue Mitstreiter und kam mit seiner Band beim stilbildenden Independent-Label L’Age d’Or unter. Schon das Debütalbum „Wichtig“ (1993) wurde von den Kritikern gefeiert, es folgten Höhepunkte des deutschen Vierminutenpops wie „Universal Tellerwäscher“ und „Was hat dich bloß so ruiniert“ und der kommerzielle Durchbruch.

Während Blumfeld inzwischen Intelligenz-Schlager produzieren und Tocotronic mit jedem neuen Album ihren Sound reformieren, sind sich die Sterne weitgehend treu geblieben. Ihr Konzept war es von Anfang an, Hip-Hop und Rock miteinander zu versöhnen. Spilker und seine Mitmusiker schätzten nicht nur den Progrock von Pink Floyd und Hawkwind, sondern auch den Groove von Public Enemy, De La Soul und deren Funk-Idolen Sly Stone und Curtis Mayfield. Statt sich mit dem Klären von Samples herumzuschlagen, spielten sie ihre Lieblingszitate einfach mit Gitarren, Bass und Orgel nach. Etwas kunstvoll Verschludertes liegt seither über der Musik der Sterne.

„Räuber und Gedärm“ wirkt wie mit Energie aufgeblasen. „Wir sind reines Dynamit“ erinnert mit seiner stotternden E-Gitarre an den frühen James Brown, „Abends Ausgehen“ könnte in seinem knochigen Blues-Schema auch von den White Stripes stammen. Manche Songs bestehen aus reiner Euphorie, andere verlieren sich in monotonen Haudrauf-Rhythmen. „Das Blöde wird verschwinden“, singt Spilker in „Wenn ich realistisch bin“. „Es wird alles besser werden / Nur noch gute Musik.“ Utopie bleibt machbar.

Die Sterne: Räuber und Gedärm (V2/Rough Trade)

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