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© Aurin

Kultur: Warentausch mit Supervisor

„Hans im Glück“: Die Volksbühne reanimiert die Ost-Band Pankow und ihr legendäres Rockmärchen von 1984.

Im Märchen vom „Hans im Glück“ schleppt der Protagonist schwer an seinem Lehrlingssold, einem kopfgroßen Goldklumpen. Tatsächlich sitzt ihm das Kapital so schmerzhaft im Nacken, dass er es schnellstmöglich gegen ein Pferd eintauscht. Da offenbar weder die Ware noch der Anlageberater halten, was sie versprechen, verstrickt sich der Junginvestor in einen seriellen Naturalienhandel, tauscht das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans und so weiter. Bis er am Ende, jeglicher Finanzen und Investitionsmöglichkeiten ledig, „mit leichtem Herzen und frei von aller Last“ zur Mutter (!) heimkehrt und allen Zumwinkel-Neidern zuruft: „So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne“ (Ob das seiner Mutter auch so geht, lässt das Märchen offen.)

Im Osten des Landes indes, wo es nicht nur mit den Millionenrenten, sondern auch mit dem Lehrlingssold schon vor dreißig Jahren vergleichsweise unrosig aussah, hatte der Absolvent der Polytechnischen Oberschule Hans den revolutionären Schritt vom schnöden Materialisten zum genügsamen Idealisten bereits vollzogen und wurde dementsprechend nicht mit Ostmark, sondern gleich mit immateriellen Ergüssen über die Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit ins Leben geschickt. Zumindest im 1984 uraufgeführten „Rockmärchen“ der legendären Ost-Berliner Band Pankow, wo der Protagonist statt Naturalien eine schlecht sitzende Berufsperspektive gegen die nächste tauscht: den Präsent-Zwanzig-Anzug des „Aufstiegsspezialisten“ gegen ein Intermezzo in der Psychiatrie gegen eine temporäre Trinkerkarriere gegen ein paar Wochen im Knast. Alles nicht unbedingt role models, die der Partei- und Staatsführung auf Anhieb für die junge sozialistische Persönlichkeit eingefallen wären. Weshalb Pankow in der DDR zu den zahlreichen Zensur- und Veröffentlichungsproblemfällen gehörte.

Frank Castorf hatte nun vor einiger Zeit die tagesaktuell durchaus nachvollziehbare Idee, den Assoziationsklumpen der Grimm’schen Tausch- und Warenwertstory auf die Volksbühne zu wälzen und bei dieser Gelegenheit auch Pankow – ergraut, aber dafür live – zu reaktivieren. Im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz, wo die derzeit sanierungsbedingt geschlossene Volksbühne für diese Produktion Asyl gefunden hat, bevor sie ab April in ihre Zweitspielstätte Prater ausweicht, war das Resultat zu besichtigen. Und siehe da: Lange konnte man von keiner Dramaturgie mehr sprechen, die dem Gegenstand ihres Abends so kongenial angemessen gewesen wäre wie diese!

Unser Frank im Glück muss den zentnerschweren Gedankenbrocken nämlich bereits im Vorfeld derart intensiv hin und her gerollt, muss Kapital und Ideal, Kreditklemme und Opel, Opel und Opus nach der märcheneigenen Schrumpfdramaturgie so vorbildlich gegeneinander ausgespielt haben, dass am Ende tatsächlich nichts mehr übrig blieb als ein glücklicher, von aller Inszenierungslast befreiter Intendant. Sowie – nicht zu vergessen – die Band Pankow mit Frontmann André Herzberg, die beim unprätentiösen und absolut detailgetreuen Remake ihres 25 Jahre alten Programms bewies, dass die meisten Texte über die Jahre genauso wenig jünger werden wie ihre Interpreten.

Dieselbe dramaturgische Konsequenz, die Frank Castorf ganz im Sinne des Grimm’schen Märchens bewiesen hatte, legte er auch gegenüber der aktualisierten Pankow-Version an den Tag. So wenig wie die radikale Abspeckung des Kreativ- bzw. Inszenierungskapitals bis kurz über die Nullgrenze hat er den Wechsel der role models versäumt. Sah er sich anfangs noch als Regisseur, switchte er bald in die Position des „Supervisors“, ließ die Funktionsbeschreibung „Regie“ auf dem Pressezettel durch „szenische Einrichtung“ tauschen und übertrug selbige dem Assistenten Andreas Merz.

Der steuerte zu den lustigen Textschnipseln, welche Lothar Trolle und Sabrina Zwach für die kurzen Intermezzi zwischen den Pankow-Songs lieferten, ein paar eigene bei und bekam dafür auch eine Handvoll Schauspieler zugeteilt, die mit Tiermasken, Julia-Timoschenko-Frisuren oder Hänschen-Klein-Sepplhosen an der Rampe herumhüpfen und von denen regelmäßigen Volksbühnenbesuchern immerhin Michael Klobe bekannt ist. Der lässt mit seinem roten Käppchen zum Catsuit nicht nur die gewagte Deutung zu, Vorbilder-Klau bei einem quasi benachbarten Grimm-Märchen betrieben zu haben, sondern sorgt auch als Pankower Boulettenverteiler für eine Art Lehrstück-Höhepunkt: Bouletten haben an diesem Abend einen extrem hohen Tauschwert. Sie sind nur gegen echte Pankow-Begeisterung zu haben.

Nichtfans bleiben auf so immateriellen Spekulationen sitzen wie der ökonomischen Entscheidung zwischen einer potenziellen Kuh und vier potenziellen Schauspielanfängern. Wenn eine Kuh eine Abendgage von 600 Euro bekommt, ruft Frau Timoschenko in einer Art Pollesch-Synchronmodus mal über die Rampe, und ein Schauspielanfänger 150 Euro, dann könnte man ein ganzes Erstengagement-Quartett durch eine einzige Kuh ersetzen. „Und wen würde man lieber sehen?“ Keine Frage!

Kino Babylon Mitte, wieder am 23. und 24. März, 19.30 Uhr.

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