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Kultur: Warte nur, balde ruhest du auch

Entführung des Hörers in die Mitte des Klangs: die Eröffnung des Berliner Maerzmusik-Festivals

Das riecht doch gleich schon wieder schwer nach Dekonstruktion bürgerlicher Konzertrituale: Kaum hat man in freudiger Erwartung auf das Eröffnungskonzert des Maerzmusik-Festivals das Haus der Berliner Festspiele betreten, wird man genötigt, sein Schuhwerk aus- und Einwegsocken anzuziehen. Was nicht zwangsläufig ein neues Hörerlebnis verspricht, aber immerhin zur Diskretion beiträgt, werden so doch peinliche Löcher im Strumpf verborgen.

Dergestalt ausgestattet, betritt man dann die Bühne, wo in dämmrigem Licht eine kuschelige Liegefläche wartet, die Zeichen sind auf Entspannung gestellt. Bei den Hörern zumindest, die Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin haben heikle 70 Minuten vor sich. Denn „fichten“, so nennt Klaus Lang sein Werk, verlangt die Aufteilung des Klangkörpers rund um die Bühne herum, nur mit zahlreichen Monitoren kann Dirigent Rupert Huber Kontakt mit allen Spielern halten. Und die entfalten dann, kaum ist das Licht auf der Bühne aus, eine äußerst zarte Musik, die, sofern überhaupt in Worte zu fassen, Zustände von Naturerlebnissen und Raumwahrnehmungen evoziert.

Das Stück beginnt mit einem sanft verräumlichten Streicherakkord, der sich wie Wellen auf der Wasseroberfläche ausbreitet, sich langsam kräuselt. Allmählich treten andere Klänge hinzu, leise Schlagzeuggeräusche formen die Einschwingphasen der Bläser und Streicher wie mit feiner Gravur. Man befindet sich als Hörer mitten im Klang, der ohne leiseste Anflüge von Effekthascherei im Raum changiert. Lang schafft eine äußerst unspektakuläre, aber durchaus prägnante Klangsprache, auch dadurch, dass er sowohl auf Dissonanzen wie auf traditionelle Klänge weitgehend verzichtet. Spannend ist bei solch einer Konzertinstallation immer, wie sich der Komponist über die Zeit rettet, denn scharfe Kontraste oder eine Dramaturgie auf einen Höhepunkt hin verbieten sich hier. Und Klaus Lang zieht sich achtbar aus der Affäre, belebt das Stück im Verlauf immer wieder mit minimalem Aufwand.

Nach einer Stunde – die meditative Stimmung der Hörer droht nun doch in Schläfrigkeit umzuschlagen – lässt er dem Orchester unverhofft etwas dynamischere Tongebilde entschlüpfen, bereitet so den Schluss vor. Der in dieser Musikästhetik natürlich ebenfalls heikel ist. Denn eigentlich müsste so ein Stück unendlich weitergehen, das Formempfinden verlangt aber nach einem Abschluss, der nicht wirklich irgendwo hin führt und doch befriedigt. Auch das gelingt: Lang greift die Anfangsakkorde sachte wieder auf, lässt dann fein abgesetzte Tonfiguren durch die Instrumente tropfen. Und alle wissen: Jetzt ist Schluss.

Auch die Raumgestaltung trägt unaufdringlich zur Wirkung der Musik bei, die an Boden und Decke befestigten Stahlseile verflüchtigen sich scheinbar ins Endlose. Wald, Horizont, Himmel, Unbegrenztheit – Claudia Doderer schafft mit sparsamen Mitteln schwebende Atmosphäre. Ob der Abend nun wirklich, wie im Programmheft zu lesen, transzendente Erfahrungen des Unaussprechlichen bietet, sei dahingestellt. Aber eben das ist ja seit jeher auch Teil der Maerzmusik: Dass sie die Überforderung, die die Musik durch die Konzeptkunst erfährt, vor Augen führt.

Das Festival bietet bis zum 25. März noch 38 Aufführungen. Informationen: Tel.: 254 890 oder www.maerzmusik.de

Ulrich Pollmann

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