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Steine des Anstoßes. Die Akademie des Jüdischen Museums Berlin.

© imago/Stefan Zeitz

Nach Peter Schäfers Abgang: Warum das Jüdische Museum ein offenes Haus bleiben muss

Der Rücktritt von Museumsdirektor Peter Schäfer hat eine Debatte um das Jüdische Museum Berlin ausgelöst. Eine Antwort auf dessen Kritiker.

Am 17. Dezember erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein Artikel über die Debatte ums Jüdische Museum Berlin (JMB). Thomas Thiel nimmt darin die Ernennung von Hetty Berg zur Museumsdirektorin zum Anlass, Revue passieren zu lassen, was aus seiner Sicht im Museum und darüber hinaus schiefgelaufen ist.

Der Artikel ist eine Warnung an die neue Direktorin und, man kann es nicht anders sagen, ein persönlicher Angriff auf Yasemin Shooman, die ehemalige Programmleiterin der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums.

Thiel versucht nämlich zu behaupten, Shooman habe ein groß angelegtes, heimliches Projekt zur Dethematisierung des muslimischen Antisemitismus verfolgt. Als Beleg führt er zunächst ihren akademischen Werdegang an: Sie habe am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin bei dessen ehemaligem Leiter Wolfgang Benz promoviert, der 2008 von einer funktionalen Ähnlichkeit von Antisemitismus und Islamfeindschaft sprach.

Nun kann man zu der Frage, ob es diese Ähnlichkeit gibt, unterschiedliche Meinungen haben. Daraus jedoch wie Thiel eine Relativierung des Holocaust abzuleiten, ist Stammtischgeraune und trägt nichts zur Klärung der wichtigen Frage bei: inwiefern nämlich Diskriminierungsformen aufeinander verweisen, miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig stabilisieren.

Mutwillige Ausblendung von Judenhass?

Der Autor will ohnehin auf etwas anderes hinaus, nämlich darauf, dass Shooman den Judenhass in der arabischen Welt und den zunehmenden Antisemitismus unter Muslim*innen in Deutschland mutwillig bagatellisiert und ausgeblendet habe.

An diesem Punkt ist die Grenze zur persönlichen Unterstellung mit verschwörerischen Anleihen überschritten. Das zeigt sich deutlich daran, dass der „FAZ“-Autor die Dethematisierung von einem staatlichen und wissenschaftlichen Konsens getragen sieht, der von der Migrationsforschung über die Orientwissenschaften und die Vergabe offizieller Forschungsmittel bis zu einem ominösen Migrationsrat der Bundesregierung reiche, bei dem Shooman ebenfalls Mitglied sei.

Eine bezeichnende Ungenauigkeit: Es existiert gar kein „Migrationsrat der Bundesregierung“. Nur ein „Rat für Migration“, der ein eingetragener Verein ist und keine Gelder von der Bundesregierung erhält.

Augenscheinlich dient die Wissenschaftlerin und Person Shooman hier als Mittelpunkt eines argumentativen Strudels, in den auch das Jüdische Museum Berlin, das Zentrum für Antisemitismusforschung, das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung und das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung hineingerissen werden sollen.

Verschwörungstheoretische Unterstellungen

Es lässt sich festhalten: Kritiker wie Thomas Thiel mögen die Forschung zur Diskriminierung von Muslimen und Musliminnen nicht. Weil Yasemin Shooman diese Forschung betrieben hat und unter anderem ein Forum in der Akademie dafür fand, fordert er einen Kurswechsel für das gesamte Jüdische Museum.

Die dahinter liegende Annahme, Shooman allein hätte das Haus überhaupt zu einem Ort für Judenfeinde machen können, ist eine Personalisierung der Programmlinien des JMB, die die Grenze zur Verschwörungstheorie abermals überschreitet.

Die Realität sieht anders aus, beginnend bei der Absicht, mit der die Akademie vom Gründungsdirektor des Museums, W. Michael Blumenthal, ins Leben gerufen wurde. Blumenthal ging es von Anfang an darum, eine „Plattform für Debatten über religiöse Vielfalt, Partizipation und das Zusammenleben in der pluralen Gesellschaft“ zu schaffen.

Die Akademie sollte zu einem Ort gesellschaftlicher Gegenwartsdiskurse und „den Perspektiven anderer religiöser und ethnischer Minderheiten Raum“ gegeben werden, wie es in der Selbstbeschreibung heißt. Und weiter: „Dabei nehmen wir nicht nur die Beziehung zwischen Mehrheitsbevölkerung und einzelnen Minderheiten in den Blick, sondern fördern insbesondere den Austausch und die Vernetzung von Minderheiten untereinander.“

Die Kritik fällt auf Blumenthal zurück

Es ist also die Vision des jüdischen Gründungsdirektors, die Shooman mit dem Akademieprogramm realisiert hat, vom jüdisch-muslimischen Gesprächskreis bis zu Kooperationen mit der Roma-Community beim Romnja* Power Month. Die Kritik fällt also mindestens auch auf Blumenthal zurück. Aber wer will schon einem jüdischen, 1926 in Oranienburg geborenen Direktor, Programmatisches vorschreiben. Stattdessen wird Shooman ins Visier genommen.

Als Alternative zum Akademieprogramm schlagen die Kritikerinnen und Kritiker des Jüdischen Museums vor, das Haus solle sich auf die „Gegenwart und Geschichte des Judentums“ beschränken und aus der Tagespolitik heraushalten. Das steht nicht nur im Widerspruch zur Absicht des Gründungsdirektors, sondern auch zu einem politischen jüdischen Selbstbewusstsein, wie es sich im Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, in Magazinprojekten wie „Jalta“ oder dem Maxim Gorki Theater zeigt.

Juden und Jüdinnen haben sich schon immer eingemischt, waren politisch engagiert und haben Gesellschaft über die persönliche Betroffenheit von Antisemitismus hinaus mitgestaltet. Und zwar nicht erst, seit Abraham Joshua Heschel an der Seite von Martin Luther King Jr. marschierte, seit Ignatz Bubis und Michel Friedman das zerstörte Sonnenblumenhaus in Rostock besuchten oder der Zentralrat der Juden Stellung gegen Thilo Sarrazins Thesen bezog.

Ohne Angst verschieden sein

Wer mit dieser „Gegenwart und Geschichte des Judentums“ ein Problem hat, der hat vielleicht weniger ein Problem mit dem politischen Bezug dieses Museums als mit den real existierenden Juden.

Der jüdische Anspruch zur Gestaltung der Gegenwart ist übrigens gerade mit Blick auf die deutsch-jüdische Geschichte des vergangenen Jahrhunderts von Bedeutung. Daraus lässt sich ja nicht nur lernen, dass die jüdische Bevölkerung besser durch die Gesellschaft geschützt werden sollte. Sondern auch, dass es einer anderen Gesellschaft bedarf: einer Gesellschaft, in der man ohne Angst verschieden sein kann. Der in der Akademie betriebene Dialog mit anderen Minderheiten ist Teil dieser Vision. Das schließt eine Kritik an Diskriminierung jeglicher Art ausdrücklich ein.

Um die Arbeit der W. Michael Blumenthal Akademie kritisch zu bewerten, müsste man sich die Mühe machen, nicht nur auf eine einzelne, möglicherweise missglückte Tagung zu schauen, sondern die Vielzahl an Veranstaltungen, Publikationen und Programmen auszuwerten, die dort auch unter Shoomans Leitung realisiert worden sind.

Querverbindungen zum politischen Islam?

Um derart konstruktive Kritik geht es aber offenbar nicht, sonst käme nicht so undifferenzierter Nonsens zustande wie die von der „FAZ“ durchgewunkene Unterstellung, das Jüdische Museum sei zu „einem Ort der BDS-Sympathisanten mit Querverbindung zum politischen Islam“ geworden – oder das Zentrum für Antisemitismusforschung spreche Israel das Existenzrecht ab. Beide Positionen sind krasse Anschuldigungen jenseits der journalistischen oder wissenschaftlichen Sorgfaltspflicht.

Gegen die immer wieder falsch konstruierte Eindeutigkeit der Situation im Jüdischen Museum Berlin darf man nicht müde werden zu unterstreichen: Die jüdischen wie die muslimischen Gemeinschaften in Deutschland sind politisch und religiös so vielfältig wie die deutsche Gesamtgesellschaft.

Auf allen Seiten finden sich liberale Kräfte wie Extremist*innen, wobei die liberalen Kräfte derzeit verstärkt unter Druck stehen. Sie hatten und haben im Jüdischen Museum und seiner Akademie einen wichtigen Begegnungsort. Und noch etwas: Unsicherheit muss aushalten, wer in der Debatte um eine offene, plurale, weniger diskriminierende Gesellschaft eine Plattform wie die Akademie möchte.

Die Schließung solcher Begegnungsräume hat Konjunktur. Mit seiner Forderung einer Beschränkung des Jüdischen Museums auf eine partikulare, von der gesellschaftlichen Gegenwart abgrenzbare jüdische Gegenwart und Geschichte liegt der Autor des „FAZ“-Artikels also voll im Trend. Aber mit einer solchen Abschottung ist niemandem geholfen, zuallerletzt den Juden und Jüdinnen.

Der Kurs der Offenheit muss bleiben

Die Alternative kann deshalb nur lauten, Orte wie diese auch weiterhin offen zu halten für eine Gegenwart, in die der Museumsbau von Daniel Libeskind ragt wie Jovis Blitz, von dem Heinrich Heine in seinem „Wintermärchen“ schreibt.

Darum möchte ich der neuen Direktorin Hetty Berg nicht „die Kraft zu einer entschiedenen Wende“ wünschen, sondern die Kraft, diesen Kurs der Offenheit fortzusetzen. Im besten Fall, indem das Museum in seiner Akademie auch Raum für den konstruktiven Austausch mit seinen Kritikern und Kritikerinnen schafft.

Es ist sinnvoll, weiter darüber nachzudenken, wie diese Begegnungen produktiv stattfinden können. Dafür könnten Erfahrungen aus erfolgreichen Begegnungs- und Denkformaten wie die Dialogperspektiven des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks aufgenommen werden.

Sie verstehen den jüdisch-muslimischen Dialog als Teil einer größeren Debatte darüber, wie eine inklusivere Gesellschaft aussehen kann. Und mit dieser Suche nach einem Common Ground betreten wir noch immer weitgehend Neuland: Nicht immer ist klar, was dabei herauskommt.

Jüdisches Leben in Deutschland ist nicht nur Geschichte, es ist auch Gegenwart. Soll es auch eine Zukunft haben, dann schließt das die Beschäftigung mit tagespolitischen Fragen notwendig mit ein. Auch angesichts der zunehmenden Stimmung gegen die radikale Vielfalt der deutschen Gesellschaft, die heute schon Realität ist – und für die uns häufig noch die Sprache und die Konzepte fehlen. Das Jüdische Museum Berlin sollte bei der Suche nach Antworten weiterhin eine zentrale Rolle spielen.

Der Politikwissenschaftler Max Czollek ist Mitglied des Lyrikkollektivs G13 und Mitherausgeber der Zeitschrift „Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart“. Zuletzt erschienen von ihm „Desintegriert euch“ (Hanser) und der Gedichtband „Grenzwerte“ (Verlagshaus Berlin).

Max Czollek

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