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Kultur: Warum der NATO-Angriff richtig ist, obwohl er falsch ist

Ein Freund ruft aus: "Jetzt haben wir ihn also wieder, den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.Aber welcher Politik eigentlich?

Ein Freund ruft aus: "Jetzt haben wir ihn also wieder, den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.Aber welcher Politik eigentlich?"

Berechtigte Frage.Und eine, die zurückführt zum Beginn der Jugoslawienkrise Ende der 80er Jahre.Das Versagen der Politik, wie das immer so leicht heißt, ist ein Zaudern und Zögern, eine fast schon zum Prinzip erhobene Unentschiedenheit der Diplomatie und ein völliges Ungenügen völkerrechtlicher Bestimmungen.Die Mitglieder der "Kontaktgruppe" behandelten Milosevic jahrelang wie einen pubertierenden Jugendlichen, der kriminell geworden ist und dem man jetzt beibringen muß, daß sich das Böse nicht lohnt.Wofür es allerdings wenig Beweise gibt.Statt dessen das Angebot: "Junge, was auch geschieht, du kannst jederzeit zurückkommen und mit uns reden, wir sind immer für dich da." "Kontaktgruppe" ist ja auch ein schönes anti-autoritäres Wort, und nicht vom Verdacht der Verbindlichkeit oder Durchsetzungsfähigkeit beschwert, ein bißchen so wie "Kontakthof".

Doch dann hat sich die NATO selbst eine Falle gestellt: Um sich nicht vor der Weltöffentlichkeit lächerlich zu machen, müssen Drohungen halt doch mal wahr gemacht werden.Es darf bezweifelt werden, daß dies so geplant war.Dumm gelaufen.Und plötzlich verändert sich alles.Plötzlich ist das, was da passiert, nicht mehr nur ein Fernsehereignis an der europäischen Peripherie, plötzlich kriegen diese ganzen Wörter, mit denen man so gerne Tatsachen bis zur Unkenntlichkeit schönredet, eine Greifbarkeit und eine Realität, der man nicht mehr ausweichen kann, und aus "bewaffneten Auseinandersetzungen" und "friedenserhaltenden Maßnahmen" wird Krieg.Vielleicht ist dies ein heilsamer Realitätsschock, ein sehr anderer Ruck, als der, den Roman Herzog gemeint hat, aber einer, der uns Mitteleuropäern ins Bewußtsein zurückholt, was wir zu gerne vergessen, daß diese Festung der Reichen und Satten sich ihr Vermögen (auch) auf Kosten anderer Länder verschafft.Daß Krieg in großen Teilen der Welt der Normalzustand ist und wir - glücklicherweise - eine Ausnahmesituation genießen, daß es schließlich eben doch noch Utopien gibt, die vom Frieden zum Beispiel.

Das ändert nichts daran, daß man den NATO-Einsatz und die deutsche Beteiligung daran nur mit dem größten mulmigen Gefühl und ohne die mindeste Erleichterung sehen kann.Die von Selbstzweifeln zerfleischten und nachdenklichen Beiträge im Bundestag ehren die Redner.Die hingegen von keinerlei Skrupel getrübten reißerischen Aufmacher der Boulevardpresse, die schon wieder deutsche Helden feiern, könnten einen zum Pazifisten konvertieren lassen, der Zensur verlangt.

Die Argumente gegen einen solchen Einsatz sind schwerwiegend: kein UN-Mandat, Verstoß gegen die UN-Charta, "selektive Wahrnehmung" von Menschenrechts-Verletzungen, wie Gregor Gysi es nannte, und Zweifel an einem lohnenden, dauerhaften Ergebnis.Aber man muß sich fragen, welches ethische Gewicht ein UN-Mandat auf die Waage bringt, das auf die Stimmen von China und Rußland angewiesen ist und das, wie in diesem Fall, nicht zustandekommt, weil diese ihr Veto einlegen.Welchen Wert aber hat die Zustimmung eines verbrecherischen chinesischen Regimes, und wieso sollte man auf jemand Rücksicht nehmen, der sich selber an keine Vereinbarung hält? Der UN-Sicherheitsrat spiegelt in seiner Struktur und seinen Befugnissen noch immer die Zeit weit vor der Verschiebung der Machtverhältnisse und der Auflösung des Ostblocks.(Bei all dem spielt offensichtlich auch Den Haag schon längst keine Rolle mehr, von dessen Gerichtshof es ja immerhin mal einen internationalen Haftbefehl gegen Milosevic gegeben hat.Und ich wundere mich auch, in welchem balkanischen Dschungel sich eigentlich Karadzic versteckt, daß er so gar nicht zu finden ist - ob dessen Verhaftung noch jemand interessiert?) Und man muß sich auch fragen, ob die UN-Charta, die die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates verbietet, noch zeitgemäß ist oder ob man nicht endlich die Menschenrechte als, ja, absolutes Prinzip, über die Souveränität der Nationalstaaten stellen muß.Das würde sehr sehr unbequem werden, siehe Türkei, siehe Afghanistan, siehe China, und widerspricht natürlich den wirtschaftlichen und strategischen Interessen der Industrienationen, ist aber der Kern des Problems.Denn solange sich mit der Türkei oder mit China gute Geschäfte machen lassen oder geo-strategische Interessen dominieren, spielen die Menschenrechtsverletzungen dort die allerletzte Rolle in den zwischenstaatlichen Beziehungen, und die Tatenlosigkeit läßt sich völkerrechtlich auch noch einwandfrei rechtfertigen.Ein winziger Fortschritt, die Aufhebung von Pinochets Immunität, mit zwei Schritten rückwärts wieder eingeschränkt durch seine "beschränkte Haftbarkeit", ist wenigstens ein Anfang.Es wäre des neuen Jahrtausends würdig, in großen Schritten in diese Richtung weiterzugehen.Und die Frage, ob der NATO-Einsatz jetzt und so richtig ist, kann man nur mit einem Ja beantworten, allerdings mit einem kleinlauten, mit einem sehr kleinlauten.

Dea Loher (35) lebt als Theaterschriftstellerin in Berlin.Sie hat sich in mehreren Stücken (u.a."Fremdes Haus") auch mit den Folgen des Balkan-Krieges auseinandergesetzt.Im letzten Jahr erhielt sie für "Adams Geist" den Mülheimer Dramatikerpreis.

DEA LOHER

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