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Eine Besucherin schaut sich im Hamburger Bahnhof ein Gemälde von Martin Kippenberger an.

© AFP/JohnmacDougall

Buch von Isabelle Graw: Warum die Malerei so fasziniert

Voller Ambivalenzen: Isabelle Graws untersucht in ihrem jüngsten Buch „Die Liebe zur Malerei“, warum das Genre eine Sonderstellung im Kunstbetrieb hat.

Adorno, Deleuze, Diderot, Foucault, Hegel, Latour, Marx – darunter macht Isabelle Graw es nicht. Die mit heiligem Ernst und maximalem Sendungsbewusstsein zelebrierte intellektuelle Sperrigkeit des Journalismus dieser exklusiven Kölner Schule, wie sie ab 1990 von der von Graw mitgegründeten Kunstzeitschrift „Texte zur Kunst“ geprägt wurde, ist Legende und spricht allem Hohn, was an Journalistenschulen postuliert wird. Diese Texte wurden gelesen, weil es Leser gab, denen es nicht darum ging, es sich mit und in einem Text gemütlich zu machen.

Adorno, Deleuze, Diderot, Foucault, Hegel, Latour, Marx: Wie nun Isabelle Graw auf diese notorische Herrenriege kommt, obwohl ihr jüngstes Buch im Titel „Die Liebe zur Malerei“ verspricht, hat viel mit dem Selbstverständnis der gelernten Politikwissenschaftlerin zu tun, die jeden Katalogtext als Forschungsauftrag begreift. Da mag die Professorin an der Frankfurter Städelschule noch so oft die „vitalistische“ Qualität der Malerei preisen – eine Liebeserklärung geht anders. Es könnte natürlich sein, dass der Verlag auf den purpurrot gedruckten Titel gedrängt hat. Das grelle Coverdesign kann auch nur oberflächlich darüber hinwegtäuschen, dass es im Innern lediglich für 33 schwarzweiße Abbildungen gereicht hat. Es könnte sein, dass der viel kleiner gedruckte Untertitel „Genealogie einer Sonderstellung“ der eigentlich wichtige ist.

Aus jeder Attacke ist die Malerei gestärkt hervorgegangen

Die Malerei hat also eine Sonderstellung inne, denn es „halten zahlreiche Kunstakteur/innen bis heute unausgesprochen an dem Glauben fest, dass ‚die Malerei‘ die eigentliche und wahre Kunst sei.“ Die Wirkungsmacht dieser Vorstellung ließe sich auch auf dem Kunstmarkt ablesen, „wo es regelmäßig gemalte Bilder sind, die die höchsten Preise auf Auktionen erzielen.“ Das besondere Leistungsvermögen der Malerei zeigt sich darin, dass sie aus allen perfiden Attacken letztlich nur gestärkt hervorgegangen ist.

Die Kunsthistorikerin Isabelle Graw

© Christian Werner

Ja, warum steht die zwischenzeitlich als dekorative Flachware gescholtene Malerei heute wieder so hoch im Kurs? Die Erklärung für ein vermeintliches Paradox meint Isabelle Graw 342 Seiten später gefunden zu haben: „Ich denke, dass ein Grund für die derzeitige Konjunktur der Malerei in unserer digitalen Ökonomie darin zu finden ist, dass sie die imaginäre Vorstellung einer weniger entfremdeten und durch und durch materiellen Arbeit ‚am Bild‘ aufruft. Oft wird sie mit einer zurückgezogenen Existenz im Atelier assoziiert, die vor allem angesichts der Kolonisierung des Privaten etwa durch soziale Medien wie ein begehrenswerter Rest-Schutzraum erscheint. Je unwahrscheinlicher die mit Malerei assoziierte Lebensweise geworden ist, desto mehr Faszinationspotential geht von ihr aus.“

Graw macht keinen Hehl aus ihrer Subjektivität

So luzide Graw formuliert, so zuverlässig vermag sie in zahlreichen Exkursen immer wieder gänzlich neue, durchaus kontroverse Perspektiven auf scheinbar Bekanntes zu eröffnen. Ihre Fixsterne bleiben Künstler wie Martin Kippenberger und Albert Oehlen. Maler der Neuen Leipziger Schule werden hingegen gar nicht erst erwähnt. Apropos Subjektivität: Aus ihrer eigenen Subjektivität macht Graw keinen Hehl. Nach mehreren Gesprächen mit Künstler(duz)freunden wie Jutta Koether, Charline von Heyl und Merlin Carpenter führt sie irgendwann gleich ein Selbstgespräch („Der Fluch des Netzwerks“).

Wie so oft in dem Buch hilft am Ende Foucault: „Ihre Parteilichkeit kann, anders ausgedrückt, einem gemeinsamen Kampf für ein bestimmtes Ideal geschuldet sein. Kunstkritiker/innen kommen Foucaults Definition des ‚spezifischen Intellektuellen‘ recht nahe, weil auch sie im Idealfall in spezifische Kämpfe eingebunden sind und sich für ein spezifisches Anliegen engagieren.“ So gibt sich Graw, wenn nicht als bedingungslos Liebende, so doch als tiefgläubige Idealistin zu erkennen, deren akademische Argumentation immer wieder auch von einer gehörigen Portion Chuzpe sekundiert wird. Und die Malerei mag als Bad Painting, Networkpainting, Post-Netzwerkmalerei daherkommen: „Sie hat sozusagen das ewige Leben.“ Amen.

Am 15. 9. eröffnet in der Galerie Neu (Linienstr. 119 abc, 18–21 Uhr) die von Graw kuratierte Ausstellung „The Vitalist Economy of Painting“

Jens Müller

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