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Kultur: Warum misstrauen Sie dem Erzählkino, Herr Graf?

Herr Graf, die Reaktionen der Berlinale-Kritiker auf Ihren „Felsen“ waren extrem gespalten. Hat Sie das überrascht?

Herr Graf, die Reaktionen der Berlinale-Kritiker auf Ihren „Felsen“ waren extrem gespalten. Hat Sie das überrascht?

Dass der Film schwierig ist, war mir klar – was aber die Aggressivität der Reaktion noch nicht erklärt. Wenn man unter dem Verdacht des Artifiziellen steht, wird es in Berlin besonders hart. Wenn die Filme dann nicht so sind, wie es sich die Berliner Zuschauer vorstellen, werden sie ärgerlich: Was wir jetzt in Deutschland brauchen, ist intelligenter Mainstream! Wenn ich solche Ordnungssysteme auch noch im Gehirn eines Kritikers wittere, reagiere ich empfindlich.

Ihr Film wurde auch bei der Nominierung für den deutschen Filmpreis in der Sparte „Bester Film“ übergangen. Wie reagieren Sie da?

Ich habe mich gewundert, dass der Film zwar fünf Mal in Einzelkategorien nominiert war, nicht aber als „bester Film“. Dass er dann keinen Preis bekommen würde, war mir recht klar. Erstens gab es zu starke Gegner. Und zweitens fehlt dem Film wohl die Konsensfähigkeit für ein solches Gremium.

Sie äußerten kürzlich Kritik über den Zustand des deutschen Kinos.

Wenn in einer Filmindustrie so wenig Geld steckt wie in der deutschen, dann können wir es uns nicht leisten, in Hochglanz daherkommen zu wollen, wie die amerikanischen Produktionen. Der Regisseur Mike Figgis sagte kürzlich: „Wenn heute im US-Kino einer zum Pissen geht, benutzt man dafür eine Kranfahrt.“ Wir sollten uns wieder stärker auf Themen und Figuren konzentrieren. Die deutschen Filme sehen mir zu geleckt aus. Das ist dieser Look-Quatsch, den die Privatsender erfunden haben. Zusätzlich haben die Privatsender Anfang der 90er Jahre die Schauspielergagen extrem hochgedrückt. Man sieht es manchen Schauspielern richtig an, wie sie mit der Herstellung wertvoller Emotionen ihre Tagesgage rechtfertigen.

Sie haben seit „Die Sieger“ keinen Kinofilm mehr gemacht. Dazwischen lagen zehn Fernsehfilme. Warum?

Ich habe bei den „Siegern“ hautnah erlebt, wie schwierig der Kinomarkt geworden ist. Die Bandbreite des so genannten Mainstreams wurde immer kleiner. Ich dachte dann: Das Kino ist offenbar substanziell kaputt und es beginnt, wie ein Dinosaurier zusammenzubrechen. Stehen bleibt das Knochengerüst von Filmen für die pubertierenden Massen. Fürs reine Kunstkino zu arbeiten, fand ich aber auch kein erstrebenswertes Ziel. Deshalb habe ich Primetime-Filme gemacht und versucht, deren Möglichkeiten zu erweitern.

Die Fernsehfilme „Der Skorpion“ und „Deine besten Jahre“ hätten im Kino besser gewirkt. Die Größe der Leinwand, die bessere Farb- und Bildqualität...

Ich habe mit der Kinoleinwand kein Liebesverhältnis. Ich habe ja selbst die halbe Filmgeschichte am Fernsehschirm gesehen und war genauso fasziniert wie im Kino. Zehn Millionen Zuschauer für einen deutschen Film bekommt man am ehesten im Fernsehen. Wichtig war jedoch etwas anderes: Mich beschäftigten damals Genres wie der Polizeithriller. Das war ein Raum, der hier nie richtig besetzt war und von den Autorenfilmern nicht für würdig gehalten wurde. Die Polizeifilme und Thriller der 70er Jahre fand ich überragend: von „French Connection“ bis zu Melville. Ich wollte dem Polizeifilm in Deutschland ein gefährlicheres, ernsthafteres Gesicht geben. Bei „Die Sieger“ war die Frage: Wollen die Leute das Genre in dieser anderen Form auch im Kino sehen? Die Antwort war eindeutig. Also versuchte ich dieses Genre im Fernsehen. Unmittelbar nach „Die Sieger“ folgte mein Tatort „Frau Bu lacht“, der im Fernsehen – mit derselben Art, Thriller-Elemente zu verfremden – ein Erfolg wurde.

Warum nun doch der Schritt zurück ins Kino?

Beim „Felsen“ war immer klar, dass man so etwas nicht als TV-Movie realisieren kann, schon aus finanziellen Gründen. Außerdem würden im Fernsehen bestimmte Unebenheiten geglättet und manche Dinge zu sehr komprimiert.

Der Film verweist häufig auf das Konstruierte. Vertrauen Sie klassischem Erzählen nicht?

Doch, natürlich. Aber es war ja auch in der Romanliteratur so, dass die Uhren der Erzähler irgendwann auseinander fielen und die Identitäten in tausend Teile zersplitterten. Wir können nicht mehr so tun, als wären wir im 19. Jahrhundert, wo man einer Figur vorbehaltlos folgte und alles psychologisch untermauerte. Bei so einer einfachen Geschichte wie hier, in der ich einer Frau eine Woche durch ihre persönliche Krise folge, habe ich die Chance, um das Wesen der Figur herum Windungen zu drehen. Bei einer komplizierten Geschichte käme ich gar nicht auf die Idee, sie mit selbstreflexiven Spielchen zu umgeben.

Daher auch der für manche irritierende Off-Kommentar?

Der Off-Kommentar soll distanzieren: von der Nähe der DV-Tagebuch-Kamera in eine Vogelperspektive wegspringen. Das Publikum soll aus der Kontinuität der Stimmungen herausfallen.

Dabei fällt auf, dass in Ihren letzten Filmen neben dem Off-Kommentar auch andere Stilelemente wiederkehren: rhythmisierende Schwarzblenden, Slowmotion, Standbilder.

Ich bin in den letzten Jahren immer misstrauischer gegenüber dem kontinuierlichen Fluss der Erzählung geworden. Schwarzblenden, Standbilder und Slowmotion zersetzen das. Außerdem empfinde ich es als Zuschauer angenehm, Zwischenräume selbst füllen zu können.

Die Tonspur kommt im „Felsen“ sehr bedeutsam daher – von der wuchtigen Musik bis zum Off-Kommentar.

Sicherlich steckt in diesem Film auch ein großes Maß an Misstrauen gegenüber den Bildern. Das ist ein Effekt der Arbeit mit der Digital-Videokamera. Ein DV-Bild hat eine andere Wertigkeit als ein 35mm-Bild: Jeder Moment kann dir in die Unschärfe weggleiten. Die Hierarchie der Bilder ist aufgelöst. Wort und Musik kommen da zu Hilfe.

Warum dann überhaupt das DV-Format?

Weil es eine unglaubliche Beweglichkeit hat. Weil es ein Mittel ist, sich den Schauspielern zu nähern, gleichsam, ohne dass sie es merken. Wenn ich mit einer ganzen Mannschaft auf Schienen an sie heranfahre, sieht man das in ihren Gesichtern. Die DV-Kamera macht alle freier.

Auf der Berlinale haben Sie verkündet, künftig nur noch mit DV-Kameras zu arbeiten.

Da war ich etwas trotzig, weil alle aus dem Kino kamen und sagten: „Wie seid ihr denn auf so was gekommen! Das ist ja furchtbar!“ Dabei gibt es mehrere Gründe. Mit dieser Story auf Korsika bietet sich eine Art Urlaubsvideo an. Zweitens wurde mein Aufwand seit dem „Skorpion“ immer kleiner. Nur logisch, dann auch auf DV runterzugehen. Ein dritter Grund waren die übertriebenen Anfälle von Großkino der deutschen Filmindustrie in den 90er Jahren, die mich beim flexiblen Arbeiten behindert haben. Ich bin eigentlich zu ungeduldig, um auf drei Stunden Lichtaufbau zu warten. Insofern bedeutet DV auch nur: Ich will schneller drehen können!

Kehrt mit der Tendenz zur persönlichen Geschichte der Autorenfilm wieder zurück?

Ja, absolut. „Die Unberührbare“, „Die innere Sicherheit“, „Rossini“, „Winterschläfer“ – das sind alles klassische Autorenfilme.

Bei Ihnen zeigt sich eine ähnliche Bewegung: von Genrefilmen wie „Die Katze“ hin zu Projekten wie „Deine besten Jahre“ und „Der Felsen“.

Eigentlich wechselte ich die Genre-Richtung: nicht mehr Thriller, sondern Melodramen. Andererseits ist mein Misstrauen gegenüber den Genres größer geworden, weil ich gesehen habe, was man damit alles nicht erzählen kann. Deswegen geht mir das Wort „Melo“ auch etwas schwer über die Lippen. Ich benutze das Genre als Grundriss, baue darauf dann aber ein anderes Haus.

Beim Melodram stehen im Gegensatz zum Polizeithriller die Frauen im Mittelpunkt.

Frauen stehen heute im Zentrum der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie wollen Beruf, Ehe, Liebe und Sex vereinen. Das ist eine interessante emotionale Selbstüberforderung, während die Männer nur müde danebenstehen und sich ratlos den Kopf kratzen. Das macht Frauen – über 20 Jahre nach den Melodramen Fassbinders – wieder zu Figuren mitten im Feuer. „Der Felsen“ und seine Protagonistin Kathrin sind ein Beispiel.

Das Gespräch führte Julian Hanich.

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