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Kultur: Was ist das Böse, Mister LaBute?

Wie würden Sie einem Menschen, der nicht religiös ist, erklären, was Sünde ist? Ich würde sagen: Hören Sie doch nicht auf mich.

Wie würden Sie einem Menschen, der nicht religiös ist, erklären, was Sünde ist?

Ich würde sagen: Hören Sie doch nicht auf mich. Niemand hindert Sie daran, ein Schwein zu sein, also los! Nein, Quatsch: Das Konzept Sünde ist schwer zu verstehen, selbst für religiöse Menschen. Die Vorstellung, dass wir uns als Sterbliche auf eine Weise versündigen können, die unserem gewöhnlichen Handeln – und selbst unseren Gedanken – widerspricht, oder die zumindest untypisch für uns ist, ist tatsächlich ein herausforderndes Konzept. Ich denke, dass der Zugang zum Verständnis der Sünde in der klaren, leisen Stimme in uns liegt. Schlicht gesagt, vermittelt uns diese Stimme eine unmittelbare Empfindung von Gut und Böse, Richtig und Falsch.

Geht es in Ihren Augen im Leben eher um einen Kampf von Gut gegen Böse oder eher um die Frage von Recht und Unrecht?

Ich fühle mich mit dem Konzept von Gut gegen Böse unwohler als mit dem von Recht und Unrecht. Natürlich ist das subjektiv, aber unter dem Gesichtspunkt von Gut und Böse, Richtig oder Falsch sind die Sachen persönlich natürlich besser zu handhaben. Ich finde, die Amerikaner sind in diesen Tagen schnell dabei, wenn es darum geht, etwas wie die Geschehnisse des 11. September als „böse“ zu betiteln. Das verleiht dem Ganzen gleich eine viel höhere Größenordnung und erleichtert das Entstehen von Furcht, Hass und Vergeltung. Wir haben vor 50 Jahren mit Ihrem Land und dessen Alliierten während des Krieges dasselbe getan; als Teufel konnte man Hitler und Mussolini weitaus leichter hassen, als wenn man sie als Menschen betrachtet. Ich persönlich muss in ihnen Menschen sehen – Menschen, die sowohl gute als auch schlechte Entscheidungen in ihrem Leben getroffen haben, aber dennoch Menschen und nicht nur Inbilder für das Reich des Bösen, wie es die Geschichte und die Sieger nahelegen.

Hat das Wort Freiheit noch Sinn in einer Gesellschaft, in der alles möglich ist?

Freiheit als Konzept macht für mich immer noch Sinn, aber welche Bedeutung hat es eigentlich noch? Und wessen Freiheit, und zu welchem Preis? Das Wort Freiheit wurde längst vom Staat okkupiert und soll dennoch eine ganz persönliche, individuelle Sache bezeichnen. Unseren Sinn für das, was „Freiheit“ in der heutigen Gesellschaft bedeutet, haben wir größtenteils verloren, weil wir das Individuum weniger beachten als das große Ganze. Gut, aber sehen Sie sich ein großes Bild an – sagen wir, ein Bild von Bosch – und sehen Sie, wie viele einzelne, individuelle Geschichten dieses eine Bild erst ausmachen.

Hat Sie das an Georg Büchners „Woyzeck“ interessiert, von dem Sie eine eigene Fassung geschrieben haben?

So weit ich es beurteilen kann, begann die Entwicklung des modernen Dramas mit „Woyzeck“. Als ein Meisterstück dramatischer Literatur ist Büchners Werk noch immer lebendig, auch im Werk der meisten Dramatiker, die ich bewundere. Es ist frisch und lebendig und schreit vor Wut. Zudem ist es unvollendet, was wahrscheinlich jeden Autor dazu reizt, es fortzuschreiben und seiner Selbstüberschätzung Nahrung gibt, indem er denkt, dass gerade er der Gesalbte sei, der es vollenden wird. Ich war da keine Ausnahme.

Interessiert Sie Peinlichkeit als Kategorie?

Falls Sie fragen, ob ich in meinem Werk gerne peinliche Momente verwende, dann ist die Antwort Ja. Ich denke, Peinlichkeit ist ein wichtiges Instrument – sowohl für das Schreiben von Charakteren wie auch für die Einbeziehung des Publikums. Mir macht es nichts aus, das Publikum und einen Schauspieler sich winden zu sehen, wenn die Dinge ungemütlich werden. Aus dieser Empfindung kann ebenso leicht eine Katharsis entstehen wie aus dem Erlebnis einer Tragödie.

Das Summen des AbsaugeGerätes in der Abtreibungsklinik verbindet sich in Ihrem neuen Stück „Land der Toten“ mit dem Summen des Großstadtverkehrs in New York. New York ist nicht nur in „Land der Toten“ der Ort eines Verbrechens, sondern auch schon in „Bash“. Ist die Stadt ein modernes Babel?

Für mich ist New York noch immer ein geheimnisvoller Ort, ein großer, wunderschöner, beängstigender Ort unendlich vieler Möglichkeiten. Möglichkeiten zum Guten wie zum Schlechten. Wie David Mamets „Edmond“ neige ich dazu, New York als eine Stadt zu betrachten, in der einem Menschen das Schlimmste wie auch das Beste widerfahren kann, was das Großstadtleben überhaupt bereithält. Als Autor jedoch suche ich meist nach dem Schlimmsten, da es für ein Drama das größere Potenzial in sich birgt. Ob New York ein modernes Babel oder das Sodom der letzten Tage ist – ich weiß es nicht. Es ist ein einzigartiger, wunderbarer, einschüchternder Ort, den ich sowohl liebe als auch fürchte, und zwar zu nahezu gleichen Teilen.

Betrachten Sie die Attacken des 11. September als eine Strafe, die Amerika getroffen hat?

Nein, nicht als Strafe. Strafe wofür? Dafür, mächtig und unverschämt und blind und selbstsüchtig und wunderbar zu sein? Wir sind ein Land unglaublicher Vielfalt und absoluter Gegensätze, aber ich glaube nicht, dass wir bestraft wurden, weil wir „schlecht“ sind. Der 11. September konnte sich ereignen, weil eine Gruppe ziemlich einfallsreicher Terroristen eine Lücke im Sicherheitssystem des Landes entdeckte und ausnutzte. Es war ein Vorfall, der nur mit wenig mehr als diesem Verhältnis von Ursache und Wirkung zu tun hat. Die Terroristen waren die Ursache, was passierte, war die Wirkung. Es war grauenhaft und jenseits unserer Vorstellungskraft und öffnete uns die Augen. Aber ich glaube, dass ein Großteil der übrigen Welt – wenn auch von Schock und Trauer tief ergriffen – mitempfand, wie wir als Land mit den tragischen Fakten der Weltpolitik vertraut gemacht wurden. Denn ist das, was am 11. September geschah, schlimmer als der Tod von zwei oder drei Menschen in Tel Aviv oder der Westbank? Ist ein Massengrab an der Elfenbeinküste weniger wichtig als Ground Zero? Wenn das der Fall ist, haben wir als Nation nichts gelernt.

Empfinden Sie Amerika als ein Imperium, etwa im Sinne des Römischen Reiches?

Nein. Es hat nie wieder etwas existiert, das dem Römischen Reich entsprochen hätte, noch wird es aller Wahrscheinlichkeit nach je wieder etwas Ähnliches geben. Amerika ist einfach nur ein Land des Wohlstands, der Meinung und des Einflusses. Ein Ort, gleichermaßen geprägt von Schönheit, Frustration und Gefahr – ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben.

Die Frau in Ihrem Stück „Einordnen“ sagt nach ihrer Beichte, dass sie noch mal von vorne beginnen könnten. Das Stück lässt es nicht mehr dazu kommen. Haben Sie es, wie „Land der Toten“, nach dem 11. September geschrieben?

Nein, „Einordnen“ entstand lange vor dem 11. September. Ich glaube, das Konzept des Von- vorne-Beginnens, des Neustarts, ist eines, das in meinem Werk immer wieder auftaucht. Die Vorstellung, dass eine Person sich nach etwas Neuem sehnt und bereit ist, dafür so viel aufzugeben, fasziniert mich ziemlich. Selbst mein neuestes Stück, „The Mercy Seat“, handelt davon, mit direktem Bezug auf die Geschehnisse des 11. September.

Viele Ihrer Figuren sind mit ihren Taten im juristischen Sinne davongekommen. Ihre Stücke stellen sie vor Gericht. Wie lautet die Anklage?

Ich versuche, meine Figuren nicht anzuklagen. Meine Aufgabe ist es, Fragen zu stellen, nicht unbedingt, diese zu beantworten. All meine Figuren sind insofern schuldig, als sie interessant sind. Das ist alles, was ich von ihnen verlange. Denn ich finde es viel besser, eine interessante Figur zu haben als eine liebenswerte. Doch manchmal ist das Publikum darüber verstört, dass so viele meiner „bösen“ Figuren mit dem davonkommen, was sie geplant und umgesetzt haben. Ich aber fühle mich nur diesen Figuren gegenüber dazu verpflichtet, loyal zu sein, nicht dem Publikum. Die Geschichte muss um jeden Preis erzählt werden.

Sie haben von Ihrer Hoffnung auf eine Katharsis gesprochen. Durch welche Mittel versuchen Sie, dies herzustellen?

Ich denke, dass die meisten guten Dramen es erlauben, dass wir uns als Publikum gut unterhalten fühlen und gleichzeitig oder etwas später realisiert man, dass einem auch etwas beigebracht wird. Wenn ich mir eine Theateraufführung ansehe, dann möchte ich, dass sie mehr mit mir macht, als mich nur zu unterhalten. Ich möchte, dass sie mich bewegt, mich aufrüttelt, meine Denkweise herausfordert. Wenn sie dies nicht tut, dann kann ich ebenso gut zu Hause bleiben und fernsehen.

In Ihren Texten passieren die Katastrophen genau dann, wenn man glaubt, es sei gerade noch mal gut gegangen.

Ich stelle häufig fest, dass die Menschen und Dinge, die uns am vertrautesten sind, auch am ehesten dazu neigen, beängstigend zu wirken. Die Katastrophe ereignet sich häufig gerade in einem Augenblick voller Verständnis, einem Moment von absoluter Klarheit. Halten die Versprechen, die wir zu Friedenszeiten gaben, den Druck aus? Das bleibt eine faszinierende Frage für mich.

Das Gespräch führte Thomas Oberender .

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