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Was machen wir heute?: Beschöniger ertappen

Wie ein Ost-Berliner die Stadt erleben kann.

Von David Ensikat

Vor ein paar Wochen gab es eine lustige Diskussion im Fernsehen. Da haben zwei rasierte Männer aus dem Westen einem bärtigen Mann aus dem Osten sehr lange zugerufen: „War die DDR ein Unrechtsstaat?“ Der wollte das so nicht sagen. Er sagte nur immer: „Die DDR war kein Rechtsstaat.“ Was er auch begründete, mit vielen Worten. Den Rasierten war das nicht genug. Sie riefen immer weiter, bis der Bärtige es endlich rauspresste: „Die DDR war ein Unrechtsstaat.“ Die Rasierten machten keinen zufriedenen Eindruck. Wahrscheinlich hätten sie ihn gern weiter angebrüllt. Sie hätten ihn dingfest gemacht: Noch so ein Verharmloser, so ein Ewiggestriger, der unser Wort nicht sagen will, und wir, Wolfgang Schäuble und Hubertus Knabe heißen wir, haben ihn ertappt! Ist nichts draus geworden, der Ostmann mit dem Bart, Wolfgang Thierse, war aus dem Schneider, er hat’s noch gesagt.

Dann hat Gesine Schwan es irgendwann noch mal nicht sagen wollen, das Wort, und sie hat ordentlich eins auf den Dutt bekommen. Damit dürfte es endlich klar sein: Wer seine Ruhe haben will, muss „Unrechtsstaat“ sagen, dann ist gut.

Zeit, ein neues Wort zu finden, das sagen muss, wer nicht als Beschöniger auffallen will.

Unsexstaat! Die DDR war ein Unsexstaat. Ein Land, in dem sie nur in einer Satirezeitschrift, der „Armeerundschau“, und im „Magazin“, das man sowieso nirgends bekam, Nackte abgebildet haben, ein Land, in dem sich nur zwei bis drei Frauen die Haare unter den Achseln wegrasierten und dessen Männer, kaum dass die Mauer auf war, kilometerlange Schlangen vor den Sexshops des Westens bildeten, ein Land, in dem die Männer ihre Hoffnung auf körperliche Nähe mit dem Satz bekundeten „Muddi, machtsch nacksch, ’s geht los!“, so ein Land kann nicht nur kein Sexstaat gewesen sein. Das war ein Unsexstaat, ja, auch ein totaler Unsexstaat. Wehe, das will ab jetzt irgendwer nicht sagen. David Ensikat

Rares aus dem Unsexstaat: „DDR hautnah“, Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz

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