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Was machen wir heute?: Gedanken lauschen

Sieben lange Jahre lang habe ich die Engel von Wim Wenders verflucht, und eigentlich war ich nur neidisch. Sie wohnten in „Der Himmel über Berlin“ in der Stabi, ich dagegen musste mich in meiner Zeit als Stabianerin morgens um neun in die Büchermenschenschlange vor der Tür einreihen.

Sieben lange Jahre lang habe ich die Engel von Wim Wenders verflucht, und eigentlich war ich nur neidisch. Sie wohnten in „Der Himmel über Berlin“ in der Stabi, ich dagegen musste mich in meiner Zeit als Stabianerin morgens um neun in die Büchermenschenschlange vor der Tür einreihen. Dort stand ich regelmäßig, von der ersten Abiklausur bis zum letzten Satz meiner Diplomarbeit. „ Heilige Hallen“, habe ich manchmal versuchsweise gemurmelt, „Räume, die Bildung atmen“, habe an büchergebeugte Regale, papiernen Duft, gewisperte Tonlagen gedacht. Vorgefunden habe ich dann: vorm Eingang, bei den Spinds einen Geldwechsler, der keine Euroscheine nimmt. Es handle sich um ein altes Modell, steht auf einem Zettel, mit Tesafilm befestigt. „Haben Sie bitte Verständnis, dass sich die Anschaffung eines neuen Geräts nicht lohnt.“

Die Stabi ist ein Ort, der seine eigenen Regeln hat, und sie sind nicht immer selbsterklärend. Auszug aus den Stabi-Mysterien: Warum muss man den Ausweis auch beim Rausgehen vorzeigen. Weshalb haben Spind und dazugehöriger Schlüssel keine Nummern. Meinen Spind am Ende des Tages wiederzufinden hat viel Zeit beansprucht, damit hätte ich manchmal schon morgens anfangen sollen. Überhaupt Orientierung. Dass die letzten freien Plätze meist im Osteuropasaal und Ostasiensaal sind, unweit der Karteikästen „Tarafa-Tawur“ und „Muend-Muhammad“, das ist eine Stabi-Weisheit der Altgedienten, dass zur Not auch das Iberoamerikanische Institut Internet hat, eine andere.

Das klingt nun alles wenig genussvoll. Die Wahrheit ist, dass die sieben Stabi-Jahre Internatssubstitut für mich waren. Lernen, Gemeinschaft, Küsse hinter Regalen, all das tun, was man nicht darf: Im Toilettenvorraum, ich sag nicht in welchem, traf man sich, Telefon am Ohr, obwohl Telefonieren verboten ist. Und manchmal saß ich auch im Lesesaal, Blick aufs Kulturforum, großes Glück, dort wo Wenders’ Engeln den Gedanken der Menschen lauschen. Verena Friederike Hasel

Stabi in der Potsdamer Straße 33, geöffnet ab neun Uhr, pünktlich kommen.

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