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Was machen wir heute?: Im Boden versinken

Wie ein Ost-Berliner die Stadt erleben kann

Von David Ensikat

Zuweilen hat man sehr viel Zeit. Man weiß nicht recht, wohin mit sich, wozu das Ganze. In solchen Momenten empfiehlt sich ein Ausflug mit der Kanzler-U-Bahn. Man kann ihn am Hauptbahnhof beginnen oder am Brandenburger Tor, dazwischen pendelt die Linie U 55. Es ist still auf den Bahnsteigen und in der U-Bahn, man kann ungestört über die Sinnlosigkeit von allem nachdenken. So allein, wie man hier ist, merkt man: Man ist nicht allein. Auch alle anderen, Berlins Entscheider vorneweg, wissen nicht, wohin mit sich und all dem Geld. Warum sonst hätten sie eine so sinn- und fahrgastfreie U-Bahn für so viel Geld projektiert und hinterher auch noch gebaut (es heißt, zuweilen benutzten mehr als zehn Fahrgäste auf einmal diese Bahn, was nur wieder zeigt, wie unergründlich das Phänomen „Tourismus“ ist).

Interessant sind die historischen Fotos von Berlin an der Endhaltestelle Brandenburger Tor. Eins zeigt eine 70 Jahre alte Utopie. Es ist das Modell von „Germania“ zu sehen, des irrwitzigen Umbauplans der Herren Speer und Hitler für die Reichshauptstadt. Im Vergleich dazu nimmt sich die U 55 wie eine Spielplatzbuddelei aus.

Ein Stück Germania gibt es noch, mitten in Berlin. Es trägt den schönen Namen „Schwerbelastungskörper“, besteht aus purem Beton, ragt 14 Meter in die Höhe und wiegt 12 650 Tonnen. Mit ihm wollten die Baumeister herausbekommen, ob der Berliner Boden gigantische Triumphbögen tragen kann. Kann er nicht, wie sich herausgestellt hat, der „Schwerbelastungskörper“ ist weit tiefer als vorgesehen in den Märkischen Sand gesunken. Das ist nicht weiter schlimm, darf man sagen, da wir heute weniger zum Bau hoher Triumphbögen neigen als zum Graben tiefer Tunnel. Sinnlos ist das eine wie das andere. David Ensikat

Der Schwerbelastungskörper befindet sich in der General-Pape-Straße, Ecke Loewenhardtdamm in Schöneberg. Führungen bietet der „Verein Berliner Unterwelten“ am 25. 10. und am 1. 11. um 11 Uhr (Internet: www.berliner-unterwelten.de).

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