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Was machen wir heute?: Knödel suchen

Wir haben die Knödel seiner Kindheit überall gesucht, als wir in Böhmen waren. Wir fragten die Menschen auf der Straße, wir aßen uns durch die Restaurants, mein Vater probierte stets zuerst, „Na?

Wir haben die Knödel seiner Kindheit überall gesucht, als wir in Böhmen waren. Wir fragten die Menschen auf der Straße, wir aßen uns durch die Restaurants, mein Vater probierte stets zuerst, „Na?“, fragte ich, „na?“, er schüttelte den Kopf: „Nein, sie waren anders.“ Statt der Knödel fanden wir den See, in dem mein Vater schwimmen lernte. Suppig war er und roch streng, wir sprangen dennoch hinein, mehr als 65 Jahre zurück. Von irgendwo plärrte „Scooter“ ein Lied herüber, nie klang Disco-Techno feierlicher.

Dass ich jetzt an den vergangenen Sommer, diesen See in Tschechien denke, liegt vielleicht an meinen kalten Ohren und den eisigen Berliner Winden, die mich daran erinnern, wie nah der Osten ist und Zeit meines Lebens für mich war. Es sind die Frankfurt-Momente, die uns Westberliner unterschieden: Anderswo, in Westdeutschland, in der DDR, sagten sie den Namen der Stadt ohne Main, ohne Oder, die Bezugsgröße war schließlich klar, nur wir Westberliner hatten zwei, eine gedachte und eine räumliche. Genauso sprachen wir über New York und fuhren doch nach Prag, wo ich noch Jahre später an den Häuserwänden die Graffiti eines Schulfreundes sah, mit denen er auch Charlottenburg überzogen hatte. Und noch früher gingen wir in die Urania zu „Spejbl und Hurvinek“, den Prager Marionetten, die mir vertrauter waren als die Muppetshow.

Vielleicht konnten meine Eltern, beide Sudetendeutsche, beide erst in der DDR, in Westberlin noch am meisten Heimat finden. Gemeinsam zogen sie hierher, nachdem sie sich in Heidelberg beim Russischkurs kennengelernt hatten. In dieser Sprache redeten sie, wenn wir sie nicht verstehen sollten. Gerade ist meine Mutter von einer Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn zurückgekommen, und wir waren zusammen essen, im Prager Café Slavia. Dort schmeckten die Knödel, wie ich mir die Kindheit meines Vaters vorstelle. Verena Friederike Hasel

Slawisch in Schöneberg: „Spejbl & Hurvinek“ ab 26.1. in der Urania, Restaurant „Slavia“ in der Wiesbadener Straße 79

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