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Was machen wir heute?: Sonntagssouvenirs kaufen

Letzten Sonntag hat sich der Rentner einen Wunsch erfüllt. Er ist zum Hauptbahnhof gewandert.

Letzten Sonntag hat sich der Rentner einen Wunsch erfüllt. Er ist zum Hauptbahnhof gewandert. Einfach so. Ohne Fahrkarte, ohne Erwartung. Er wollte nur mal wieder Bahnhofsluft schnuppern und erinnerte sich beim Betreten der großen Halle des reisenden Volkes an die schwarzen stählernen Ungetüme, die durch die Träume seiner Jugend rasten, immer schrill und fauchend, wenn sie den Rauch aus sich herausprusteten und nachts die Funken flogen.

Unser Hauptbahnhof ist ja ein gigantisches Verkehrsungeheuer, nix mehr mit Qualm, nur noch schnittige Stromlinienzüge, in denen Geisterhände die Türen zuklappen und wo sich keiner mehr zum Abschied aus dem Fenster lehnt und mit dem Taschentuch winkt. Es sind Tabu-Fenster, geschlossen für alle Zeit.

Apropos geschlossen. Manche sehen ja im Hauptbahnhof ein „Warenhaus mit Gleisanschluss“. Sonntagvormittag war es dort so voll wie auf dem S-Bahnhof Alexanderplatz zum Berufsverkehr, Menschen mit und ohne Koffer, Küsse mit und ohne Tränen, aber Geld haben sie wohl alle. Denn es ergießt sich ein Einkäuferstrom in die Geschäfte, die geöffnet haben dürfen. Herrenhemden, Pullover und Socken dürfen gekauft werden, Damenoberbekleidung jedoch nicht. Bei Strauss ist die Damenmode mit einem roten Flatterband verschlossen, „leider ist es uns gesetzlich nicht gestattet, an Sonn- und Feiertagen Damenbekleidung zu verkaufen“.

Kein Mensch versteht den Sinn, zumal ein Kugelgrill, Bettlaken und Küchenmesser zu den verkäuflichen Reisebedarfsartikeln gehören. Ein Witz. Das Publikum lacht und schüttelt den Kopf in einem anderen Modegeschäft, wo die Senatsverordnung pfiffig unterlaufen wird: Wer Blusen oder Pullis kauft, muss die Selbstverpflichtung unterschreiben, daheim ein Berlin-Motiv auf die Neuerwerbung zu bügeln oder zu nähen. So wird eine Damenbluse zum Berlin-Souvenir. Lothar Heinke

Heute sind die Geschäfte offen, morgen auch. Und Sonntag machen ebenfalls viele Läden auf von 13 bis 18 Uhr. Anlass ist die Frauen-WM.

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