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Was machen wir heute?: Volk sein

Wie ein Ost-Berlinerdie Stadt erleben kann

Von David Ensikat

Dass es Sommer ist und grün und warm, das ist ja nicht nur schön. Allein die Verpflichtung, hinauszufahren an den See! Der Herr in seinen unergründlichen Ratschlüssen hat dir keinen Swimmingpool geschenkt, an und in welchem du mit den dir Lieben die heißen Tage verstreichen lassen kannst, abgeschirmt durch eine hohe Hecke von dem ganzen Rest.

Ohne Swimmingpool setzt du dich dem Rest aus, vor dem kein Lichtschutzfaktor schützt. Du bist einer von Hunderttausenden, die sich am Wochenende gezwungen fühlen, es den jeweils anderen Hunderttausenden gleich zu tun, sich ihnen anzuverwandeln, sich zu ihnen zu gesellen an dem schmalen Strand am See, wo sie schon warten, allesamt, just an diesem schmalen Strand, den du dir ausgesucht hast in der Hoffnung, dass es hier anders sei als an dem letzten, an dem sie alle waren, neulich. Nun hoffst du, dass sie dort, also am letzten, heute wieder sind, aber da sind sie nicht, denn sie sind hier, immer hier, wo du selbst gerade bist. Denn du bist einer von ihnen, du gehörst dazu.

Du magst dich für intelligenter, ansehnlicher, weniger verfressen, weniger tätowiert, weniger rechtsradikal halten. Aber das hilft ja nichts. Nur weil du weder über ein schwarz-rot-goldenes Handtuch noch über einen Pitbull ohne Leine noch über ein Arschgeweih verfügst, bist du ja nicht allein. Das Volk, der Souverän, umgibt dich, immer, überall, ganz souverän, du bist es (wenn auch nur zum Teil, aber das macht es ja nicht besser).

Und wenn du denkst, du könntest entkommen, etwa indem du den Herrn breitschlägst, dir einen Swimmingpool zu schenken, dann lies ein Buch, David Foster Wallace: „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“, und du lernst, wie es jenen ergeht, die sich den Pool leisten können. Weil sie sich außerdem eine superteure Kreuzfahrt auf einem Luxusriesenkahn leisten können (mit Pool), tun sie das – und begegnen wiederum sich selbst, vieltausendfach, also der Hölle. David Ensikat

Soll ich einen Strand empfehlen, an dem es anders ist? Es gibt ihn nicht. Nicht hier.

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