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Kultur: Wedel sei der Mensch!

Der Kinogeher hatte dem Theatergeher immer schon etwas voraus. Nicht nur nutzt er das modernere Medium.

Der Kinogeher hatte dem Theatergeher immer schon etwas voraus. Nicht nur nutzt er das modernere Medium. Er ist auch aufgeklärter: Geist und Geld, das ist dem Kinogeher kein Widerspruch. Er hat sich mit der Zeit an product placement nicht nur gewöhnt, sondern die Vermischung von Kunst und Kommerz schätzen gelernt. Das deutsche Wort „Schleichwerbung“ benutzt er nicht, es ist ihm zu abwertend. Ein guter Plot wird dem Kinogeher durch die Großaufnahme einer Dose Cola nicht vermiest. Mancher reklamefreie Autorenfilm ist ihm nur nach einem guten Werbeblock erträglich. Anders der Theatergeher: Er muss zwar damit rechnen, dass König Lear ihm als multiple Persönlichkeit von zwölf nackten Greisinnen oder der Prinz von Homburg als SS-Mann erscheint. Aber Werbung fand er bislang nur im Programmheft. Das soll jetzt anders werden. Fernseh- und Nibelungenregisseur Dieter Wedel will „eine stärkere Vernetzung zwischen Theater– und Wirtschaftswelt erzielen“, und demnächst an den Hamburger Kammerspielen abendfüllend Werbespots inszenieren. 10000 Euro soll der Spaß die jeweilige Werbeagentur kosten, 35 Euro den Theatergeher. Nein danke! Fehlt nur der nächste Schritt: Werbe-Intermezzi, gut platziert in Klassikern. Kaum auszudenken: Die Gretchenfrage im Faust, ergänzt durch das szenische Lob eines Markenkondoms. Der Poly-Monolog der zwölf weiblichen Lears, veredelt durch einen Hinweis auf die Kraft der zwei Herzen. „Gift also selbst“, findet der Theatergeher, „kann in gutartigen Naturen zu etwas Besserm sich verwedeln.“

Marius Meller

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