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Kultur: Weites Herz

Kiran Desai gewinnt den Man Booker Prize

Die indische Autorin Kiran Desai hat für ihren Roman „The Inheritance of Loss“ („Erbin des verlorenen Landes“, Berlin Verlag) überraschend den mit 50 000 Pfund dotierten Man Booker Prize 2006 erhalten. Im Rennen um die begehrteste literarische Auszeichnung im angelsächsischen Raum konnte sie sich gegen fünf andere Finalisten durchsetzen, vor allem gegen die in den Wettbüros favorisierten Autoren Sarah Waters und Edward St. Aubin. Mit 35 Jahren ist Desai die jüngste Booker-Prize-Gewinnerin aller Zeiten.

Als völlig unbeschriebenes Blatt jedoch kann man die neue Booker-Preisträgerin allein aus familiären Gründen nicht bezeichnen: Desai ist die Tochter der Schriftstellerin Anita Desai, die ihrerseits dreimal auf der Shortlist des Booker Prize stand, den Preis jedoch nie gewinnen konnte. Und für Aufsehen sorgte Desai auf der Frankfurter Buchmesse, wo in diesem Jahr Indien Gastland war und sie als eine der gewichtigsten Stimmen jüngerer indischer Literatur entdeckt wurde. Desai, die im Alter von 14 Jahren in die USA immigrierte, hat an der Columbia University in New York kreatives Schreiben studiert und lebt in den USA, Indien und England. 1998 debütierte sie mit dem Roman „Hullabaloo in the Guava Orchard“ („Der Guru im Guavenbaum“, Blessing Verlag).

In „Erbin des verlorenen Landes“ erzählt Desai die mitunter skurrilen Lebensgeschichten von Bewohnern eines indischen Örtchens an den Hängen des Himalaya – zum Beispiel die des verbitterten alten Richters Jemubhai, der am liebsten gegen sich selbst Schach spielt und nachts sein Bett mit einem Hund teilt. Oder die seiner Enkelin Sai, die sich in ihren Hauslehrer verliebt. Diese Schicksale verknüpft Desai in einer Parallelhandlung mit dem Leben des jungen illegalen Immigranten Bju, der in New York als Küchenhilfe arbeitet.

Vor dem historischen Hintergund des indischen Ghurka-Aufstands der mittleren Achtzigerjahre entwirft Desais turbulenter, sprachmächtiger Roman das Psychogramm eines großen, aufstrebenden Landes, in dem die Sehnsucht nach dem untergegangenen britischen Empire einerseits und der feste Wille zur Überwindung der kolonialen Vergangenheit andererseits eine eigenwillige Mixtur eingehen. Die Jury des Booker Prize verleitete „Erbin des verlorenen Landes“ in ihrer Preisbegründung zu der naturgemäß euphorischen Einschätzung, man habe es hier mit einem „großartigen Roman von menschlicher Weitherzigkeit und Weisheit, amüsanter Einfühlsamkeit und eindrucksvoller politischer Beobachtungsgabe“ zu tun. gba

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