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Kultur: Wendekreis der Krebse

Auf zum Piratengipfel: „Fluch der Karibik“, Teil 3, zettelt Wasserweltkriege an

Eins, zwei, viele. Mit dem „Fluch der Karibik“ ist es wie mit der Harry-Potter-Serie. Nicht nur, weil im dritten Teil der Piratenkomödie veritable Luftkriege nach Quidditch-Art ausgetragen werden, an himmelhoch schwingenden Seilen. Sondern auch, weil die Fangemeinde sich seit Monaten die großen, entscheidenden Fragen zuraunt: Muss jemand sterben? Wen kriegt der Herr der Finsternis diesmal in seine Gewalt? Wird er sie küssen? Und wer ist überhaupt er: Heiratet Elizabeth (Keira Knightley) nun endlich ihren Will, den tapferen Herzallerliebsten (Orlando Bloom), oder bandelt sie doch noch mit dem lustigen Jack an? Kurzweiliger wäre es ja schon, ein Leben an der Seite von Johnny Depp, dem verrücktesten Seefahrer seit Erfindung der Ozeane.

Apropos Kurzweil: Die Idee mit dem „Flying Dutchman“-Schiff war wirklich prima. Denn erstens ist das Kino selbst bekanntlich ein Reich der Untoten. Und zweitens irrt der „Fliegende Holländer“ ja mindestens bis zum Sankt Nimmerleinstag in den Weltmeeren herum, was dem Gesetz der Serie entschieden entgegenkommt. Ende der Trilogie? Von wegen. Kein Land ist in Sicht, auch in Teil 3 wird höchstens vorübergehend gestorben. Auf dass es ewig so weitergeht mit den dreckstarrenden Hafenbewohnern, den zerzausten, einander bekriegenden Raubein-Zombies auf offener See und dem Segeltörn des Geisterschiffs voller algenbehängter, korallenbewehrter, haifischzahnrädriger, glibbschiger Schalentierwesen samt ihrem tintenfischigen Captain mit dem wuselnd-züngelnden Tentakel-Vollbart. Für ihre Meeresfrüchte-Visagen haben sich die Ausstatter erneut Anregungen bei Arcimboldo geholt.

Am Schluss von Teil 2 blieb die Hoffnung, Jack Sparrow könnte eines Tages doch noch des Gespenster-Captains blutigpochendes Herz in der Schatzkiste finden und durchbohren, auf dass der Spuk ein Ende hat. Diese Hoffnung erweist sich nun als sequel-untauglicher Trugschluss. Okay, der Chef ist immer der, der gerade kein Herz hat, das ist auf Seefahrt nicht anders als daheim im Büro. Aber eine „Flying Dutchman“ braucht nun mal einen Captain und wenn dessen Herz zu schlagen aufhört, kommt halt ein anderes ab in die Kiste. Herzlos ist mitunter sogar der Herzallerliebste.

Eins, zwei, viele. Zum Gesetz der Serie gehört die Steigerung. Teil 1, „The Curse of the Black Pearl“, spielte weltweit 650 Millionen Dollar ein, Teil 2, „Dead Man’s Chest“ über eine Milliarde. Teil 3, „Am Ende der Welt“ (der gemeinsam mit dem zweiten Teil 225 Millionen Dollar kostete) soll auch das überbieten und die bevorstehende sommerliche BlockbusterFehde der dritten Teile („Spiderman“, „Shrek“) für sich entscheiden. Also entfesselt Regisseur Gore Verbinski noch gewaltigere Naturgewalten, verbreitet noch glibbrigeren Horror – und versammelt noch mehr Johnny Depps.

Der sitzt zunächst mutterseelenallein mit seinem Schiff, der „Black Pearl“, im Totenreich auf dem Trockenen und halluziniert Depps im Dutzend. Dessen misstrauisch schnuppernde Nase – vergesst „Das Parfum“! – ragt als superlativisches Riechorgan ins Breitwandformat. Und wenn der zum Däumling geschrumpfte kapriziöse Dada-Hippie-Pirat auch noch in den eigenen, verfilzten Bartzöpfen herumturnt: apart. Für noch mehr fischige Komik hat es bei den Drehbuchautoren Ted Elliott und Terry Rossio in der Eile (sie arbeiten schon an Teil 4) aber nicht gereicht. Die Nonsense-Kapriolen von Jacks Lumpencrew lassen wahrhaft freibeuterisch-philosophischen Wortwitz diesmal vermissen. Waschechte Depp-Groupies lassen ihrem Idol den permanent feixenden Fex bestimmt trotzdem durchgehen.

Eins, zwei, viele. Die Globalisierung hat die Schifffahrt erfasst und folglich auch die Piraterie. Also müssen sich alle Neune, das heißt sämtliche Piratenbosse der Welt, auf der Insel der gestrandeten Schiffe treffen (noch eine Ausstatterorgie: der mit dem Turmbau zu Babel locker konkurrierende Wrack-Wolkenkratzer), um die imperiale Seemacht der East India Company zu besiegen. Denn die hat die Allzweckwaffe des Geisterschiffs in ihre Gewalt gebracht. Wobei sich die Beteiligten vom Krieg der Weltmeere unterschiedlichen Gewinn versprechen. Will Turner, der gute Junge, will zum Beispiel immer noch seinen Vater erlösen, für die anderen gilt die neoliberale Parole: Jeder für sich, alle gegen alle.

Piratenbraut Keira Knightley darf sich zum Gipfeltreffen als dolchbewehrte chinesische Prinzessin gewanden, nachdem sie gemeinsam mit Will, Captain Barbossa (Geoffrey Rush) und dem Singapur-Piratenboss (als Gast: Hongkong-Star Chow Yun-Fat) Richtung Weltende gesegelt ist, um Jack Sparrow zum Top-Termin aus dem Totenreich zurückzuholen. Da das Seelenwandern zwischen Diesseits und Jenseits nur nach gezieltem Kursverlust funktioniert, steht das Kino kurzerhand Kopf und fährt Achterbahn auf Monsterwellen und gigantischen Katarakten.

Folgt G 9: die UN-Vollversammlung der Piraterie, mit eins, zwei, zu vielen Chefs. Eine heillose Hackunordnung ist das, wie schon zuvor beim Fernrohrvergleich auf der „Black Pearl“ zwischen den Bossen Barbossa und Jack. Ständig gibt’s Kompetenzgerangel, ständig votiert jeder nur für sich selbst. „Das ist Wahnsinn“, sagt Elizabeth. „Das ist Politik“, kontert Jack Sparrow.

Die 169-Minuten-Story: wieder pures Seemannsgarn. Unmöglich, das Knäuel aus Inselmärchen, Piratenlegenden und nautischen Epen zu entwirren. Poseidonsaga trifft Fantasy trifft Menschheitsmythen und Urangstszenarien: ein Cocktail aus Bibel, Odyssee, Goethes faustischem Pakt, Robinson Crusoe, Wagner-Oper, „Apocalypse Now“, „Titanic“ und Schätzings „Schwarm“. Manchmal sorgt der IdeenOrkan für allzu rauen Seegang, und der Zuschauer hängt gleichsam grüngesichtig über der Reling. Egal. „Mann, das ist ein Piratenfilm“, sagt Knightley, „einmal sind die Piraten tot, dann sind sie untot und wandern als Skelette im Mondschein herum. Da fragst du nicht: Verhält sich meine Figur glaubhaft?“ Für den Blockbuster-Produzenten Jerry Bruckheimer und die Jungs von der Digitaleffekte-Abteilung muss es jedenfalls verdammt schön sein, so selbstvergessen mit teurem Spielzeug spielen und dreistündige Sequels übereinander türmen zu dürfen. Allein die „Fitzcarraldo“ herbeihalluzierende Pointe lohnt den Kinobesuch: Die in der Salzwüste gestrandete „Black Pearl“ wird von einer Armada von Krebsen über das Dünengebirge gehievt ...

Eins, zwei, viele. Dank der Sumpfhexe (Naomi Harris) kommen auch noch Psycho-Nummern ins Spiel. Erstens kann die Eifersucht einer Frau einen gigantischen Hurrikan entfachen, samt alles verschlingendem Mahlstrom. Achtung: In jedem Weib steckt eine heidnische Rachegöttin. Zweitens löst ein verschmähter Mann vor lauter Gekränktheit leicht Wasserweltkriege aus. Und drittens muss man mit der Hochzeit ja nicht bis zum Schluss der Seeschlacht warten. Diesmal wird das Fest nicht verschoben – und jeder ist für sich allein. Höchste Zeit für Teil 4.

Ab Donnerstag in 34 Berliner Kinos, OV: Cinestar Sony-Center. OmU: Babylon Kreuzberg, Hackesche Höfe, International, TürkF: Karli-Multiplex Neukölln.

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