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Kultur: Wenn aus Ängsten Bilder werden

Kann das Alter Trend sein? Die japanische Künstlerin Miwa Yanagi inszeniert Zukunftsvisionen

Die alte Frau hat tiefe Falten im Gesicht, führt aber ihren engen, roten Hosenanzug in einer Haltung vor, die mindestens so exaltiert ist wie bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris. Allerdings fehlt das Publikum, denn als Laufsteg fungiert die steinerne Grabplatte auf einem japanischen Friedhof.

Ohne Frage geht es Miwa Yanagi mit ihren Fotos um Imagination. „Wie stellst Du Dir Dein Leben in 50 Jahren vor“, fragte die gerade Mitte Dreißigjährige japanische Künstlerin, die im kommenden Februar in der Deutschen Guggenheim Berlin eine Einzelausstellung haben wird. In Zusammenarbeit mit einem japanischen Modemagazin hat sie die Zukunftsvisionen von 16 Vertretern ihrer Generation aufwändig inszeniert und mit dem Computer weiter bearbeitet. An knalligen Dekors, farbenprächtigen Kostümen oder kunstvollen Masken wurde dabei nicht gespart: So trägt etwa „Mika“, zwischen Meeresfelsen als weise alte Frau in Szene gesetzt, eine lange Robe, wie sie den Priestern auf der Insel Okinawa nachempfunden ist. Oder die beiden greisen Geishas werden von ihren Dienerinnen mit prächtigen rot-bunten Kimonos angekleidet, die traditionell unverheirateten Jungfrauen vorbehalten sind. Die gesellschaftlichen Bezüge werden deutlich, wenn man sich bewusst macht, dass eine Mischung von östlicher Tradition und westlicher Moderne mittlerweile das japanische Alltagsleben bestimmt.

Als Essenz ihrer Gespräche hat Miwa Yanagi ihren Bildern jeweils einen Text zugeordnet. Da spricht eine Prostituierte aus der imaginierten Zukunft: „Als ich so alt war wie du, waren individuelle sexuelle Dienste noch illegal, es gab keine Absicherung für uns.“ Das dazugehörige Foto zeigt eine alte Frau im Kimono und eine junge nur ins Badetuch eingewickelt Frau, offenbar in einem Bordell. Hier regiert der Wunsch nach einem besseren Leben die Idee der Zukunft – als Prostituierte mit abgesicherter Rente. So konkret können die Träume auf Miwa Yanagis Bildern sein.

Die erwähnte Szene auf dem Friedhof wirkt dagegen eher surreal. Doch selbst die Traumbilder, so phantastisch und absurd sie zuweilen anmuten, sprechen immer auch von einer Realität, von Wünschen und Ängsten. Auch in Japan zeichnet sich ein Generationskonflikt ab. Wie bei uns wird die Überalterung der Gesellschaft erwartet. Ob dann noch der in Japan tief verwurzelte Respekt der Jungen vor den Alten weiter besteht, ist ungewiss. Vor diesem Hintergrund betrachtet, offeriert Miwa Yanagi sicher keine gesellschaftspolitischen Lösungen. Vielmehr sind die Ausblicke der heutigen Jugend ins eigene Alter nichts als in die Zukunft projizierte Phantasmen der Gegenwart. Die Fotografien pendeln in der Umsetzung der Zukunftsvisionen zwischen Sympathie und Einfühlung einerseits und Ironie und Groteske andererseits. Im Grunde macht die Künstlerin aus dem Thema ein modisches Spektakel. Aber vielleicht erreicht sie damit, ein so wenig modisches Thema aus dem Getto der Diskussionen um Sozialfürsorge und Rentenproblematik herauszuholen. Miwa Yanagi, die in Japan schon ein Star ist und in Sydney, New York, Lyon oder Madrid ausstellt, hat damit Erfolg. Das könnte damit zusammenhängen, dass sie ein drängendes Problem kunstadäquat aufarbeitet und konsumierbar macht. Das heißt heute mehr denn je: Hipp, schick, modisch, poppig und unterhaltsam zu sein. (Preise von 5400 bis 14500 Euro).

Wohnmaschine, Tucholskystraße 35; bis 27. August; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr .

Ronald Berg

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