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Kultur: Wenn Gott zum Zocker wird

Fußball war immer ungerecht. Auch dafür wird er geliebt. Korrupte Schiedsrichter zerstören den Glauben an das Spiel des Schicksals

Im Fußball gibt es keine Südfrüchte-Händler mehr. Es gibt noch einen Teppichhändler, den Herrn Roth vom 1. FC Nürnberg. Der 1. FC Nürnberg spielt keine Rolle mehr im Fußball. Südfrüchte-Händler und Teppichhändler im Fußball handeln aus Leidenschaft, aus Ruhmsucht, aus blindem Lokalpatriotismus. Horst Gregorio Casellas war der letzte Südfrüchte-Händler der Bundesliga. Er war zusätzlich Präsident von Kickers Offenbach und Täter und Enthüller des bislang größten Skandals im deutschen Fußball, der Bestechungsaffäre von 1971. Wir haben jetzt eine neue Affäre, wir nennen sie Schiedsrichter-Skandal. Dagegen war die Bestechungsaffäre von 1971 eine Posse.

Die Protagonisten des heutigen Fußballs sind Spekulanten. Sie handeln aus Kalkül, aus Machtstreben, aus Geldgier. Damit stoßen sie Borussia Dortmund in den Ruin, werfen Schalke 04 auf den Markt, damit gefährden sie, wie der Schiedsrichter Robert Hoyzer mit seinen Manipulationen und alle die, deren Beteiligung noch ans Licht kommt, das gesamte Spiel.

Ist es so schlimm? Ja, es ist so schlimm. Es gehört zum Wesen des Fußball-Zuschauens seit der Entwicklung des Spiels dazu, dass man sich über Entscheidungen der Schiedsrichter erregt. Der Schiedsrichter ist der Böse, immer ist er der Böse, weil er unsere Mannschaft benachteiligt. Wir haben uns über Tofik Bachramow erregt, der ein kalter Krieger aus der Sowjetunion war und im Endspiel der WM 1966 den Engländern ein Tor anerkannte, das in unser aller deutschen Subjektivität objektiv kein Tor war. Die Engländer erregen sich noch heute über den Referee, der 1986 die Hand des Gottes Maradona übersah, die den Ball ins Tor schubste. 1994 erkannte der Schiedsrichter Hans-Jürgen Osmers auf Tor, nachdem der Münchner Spieler Thomas Helmer den Ball am Tor vorbei bugsiert hatte. Mit Ausnahme der benachteiligten Nürnberger haben alle gelacht. Drei Beispiele von 1000? Von 10 000? Oder 100 000?

Die Geschichte des Fußballs ist auch eine Geschichte der Verfehlungen und Erregungen. Dann haben wir „Schwarze Sau“ geschrieen, als die Schiedsrichter noch schwarz gekleidet war und nicht popfarben. Oder „Blinder“. Und manchmal auch „Schieber“, obwohl wir nach dem Spiel mit nüchterner Betrachtungsweise sicher wussten, dass der Schiedsrichter sich allenfalls geirrt hat. Bis vergangene Woche war der Schiedsrichter der Gralshüter der Objektivität. Es gab eine ausgleichende Ungerechtigkeit, mit der es sich gut leben ließ.

Wenn es einen Fußball-Gott gibt, dann ist der Schiedsrichter sein Stellvertreter auf dem Rasen. Hart ist er, manchmal ungerecht, fehlbar auch, und man hadert mit ihm, bis es irgendwann wieder gut ist. Es ist Schicksal, es ist unabänderlich, aber weil es jeden trifft, ist es erträglich. Wenn das Schicksal aber kein Schicksal mehr ist, sondern nur miese Berechnung eines miesen, kleinen Zockers, wird es unerträglich. Gott würfelt nicht, sein pfeifender Stellvertreter darf es auch nicht.

Schiedsrichter bilden eine geschlossene Gesellschaft, deren oberstes Prinzip die Fairness ist. Per definitionem sind sie unparteiisch, aber das sind sie natürlich nicht. Sie sind auch Fans und haben als solche ebenfalls ihre emotionalen Interessen am Ausgang eines Fußballspiels. Dagegen hält der Sport Regeln bereit und die Schiedsrichter haben sie zu überwachen. Bislang hat das geklappt, obwohl der Fußball nicht einer naturwissenschaftlichen Messbarkeit unterliegt. Die übersehene Abseitsstellung aber wurde nicht deshalb nicht abgepfiffen, weil der Schiedsrichter wie ein Wertungsrichter beim Eiskunstlauf einen anderen Geschmack hatte, sondern weil er sie übersehen hatte. Schiedsrichter taten zwar immer Böses, aber sie machten es nicht absichtlich. Ein bisschen war es, als säßen sie in einer Wagenburg, sehr einig, sehr geschlossen, ein Bollwerk gegen die Ungerechtigkeit. Das Entsetzen in ihren Reihen, dass einer der ihren den Kodex, der ihre Existenzgrundlage ist, verletzt hat, kann nicht größer sein.

Quantitativ hat sich an der Wagenburg natürlich nichts geändert. Ob nun ein Hoyzer betrogen hat oder vier, fünf Hoyzers, knapp unterhalb hundert Prozent aller Schiedsrichter gehen immer noch mit dem Vorsatz auf den Platz, in einem Spiel die Regeln zu überwachen und am Ausgang des Spiels desinteressiert zu sein. Das Fatale ist nur, dass sie selber nicht wissen, wir Zuschauer nicht wissen und die Spieler auch nicht, ob eine Schiedsrichterentscheidung eine Fehlentscheidung war oder eine falsche Entscheidung, eine bewusst falsche nämlich.

Es ist gleichgültig, wie viel Enthüllungen noch folgen werden in den kommenden Tagen und Wochen, das Ausmaß ist jetzt schon gigantisch. Fürs Erste ist uns die Naivität abhanden gekommen, mit der wir den Fußball verfolgt haben. Die Diskussion über zukünftige Schadensverhütung ist schon im Gange. Helfen zwei Schiedsrichter, die sich gegenseitig kontrollieren, sich also misstrauen, wo sie doch im Interesse des Spiels aufeinander eingespielt sein müssen? Hilft der so genannt Videobeweis, bei dem jede umstrittene Entscheidung bis zur Klärung zu einer längeren Spielunterbrechung führt? Wo bleibt dann die Seele des Spiels, die ja auch in seiner Unwägbarkeit liegt? Und, weil ja auch Spieler involviert sein können, was ist mit dem Fehlpass? Ein Fehler nur oder doch Wettbetrug? Können wir weiterhin irgendeinen Pannen-Olli, der im Tor den Ball nicht festhalten kann, bemitleiden oder belächeln? Oder müssen wir bei allem argwöhnen?

Im nächsten Jahr feiern wir in Deutschland eines der größten Feste der Menschheit, die Fußball-Weltmeisterschaft. Man muss wohl eher nicht schwarz sehen, dass dieses Fest der Hoyzers wegen ins Wasser fällt. Man darf eher prophezeien, dass es eine gigantische Feier wird, wie ja auch kein Dopingskandal die Begeisterung an Olympischen Spielen geschmälert hat. Ein Fest voller Lebensfreude, hoffentlich voller spannender Spiele, und wir werden es voller Euphorie feiern. Die Zweifel an der Unschuld des Spiels werden wir trotzdem nur überdecken können.

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