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Kultur: Wer reitet so spät

Western in Cannes: Wim Wenders überrascht mit „Don’t Come Knocking“

Früher müssen die deutschen Filmleute in Cannes echte Partykiller gewesen sein. Ewig rumgeschmollt hätten sie darüber, dass das Festival sie mal wieder übergangen habe, spottet der „Hollywood Reporter“, und sitzen geblieben auf ihrer kuriosen Ware seien sie sowieso. Heute dagegen seien die Deutschen, mit gleich vier Filmen im Programm, nur mehr an ihrem „glücklichen Grinsen“ zu erkennen.

Könnte schon sein, dass es noch ein bisschen breiter wird, wenn die Jury unter Emir Kusturica morgen die Summe dieses 58. Festivals zieht. Denn mit Wim Wenders’ „Don’t Come Knocking“ hat Cannes – nach den Filmen von Michael Haneke, Jim Jarmusch, Gus van Sant und Carlos Reygadas – einen weiteren beeindruckenden Bewerber um die Goldene Palme hinzugewonnen. Drei Jahre haben Sam Shepard und Wenders am Drehbuch geschrieben, chronologisch Szene für Szene, um schließlich weniger eine plotgesteuerte Story als einen Charakter auszuformen; Shepard selbst spielt den Wenders-typischen Lonely Rider, der der Sinnlosigkeit seines Lebens zu entfliehen und bei Frauen, in einer Familie Zuflucht sucht. Nur was, wenn man selber diese Heimat schon einmal zerstört hat? „Don’t Come Knocking“ ist der bündigste, emotionalste, stärkste Wenders seit „Paris, Texas“, womit er 1984 seine erste und bislang einzige Goldene Palme holte.

Fast humoristisch cool hebt dieses bald berückend hemmungslos sentimentalische Epos an: Howard Spence, ein zerrütteter Western-Star, ist nach einer wieder mal durchzechten und anonym durchvögelten Nacht vom Drehort verschwunden: „Phantom of the West“ heißt sein aktuelles B-Picture, und als durchaus komisches Phantom reitet Howard in vollem Cowboy-Ornat davon. Für ein paar Tage taucht er bei seiner Mutter (ein wahres Mama-Ideal: Eva Marie Saint) unter. Zu der hatte er den Kontakt lange wegen Drogen, Randale und Knast verloren, und sie gibt ihm wie aus Versehen ein neues Lebensziel. Da hat doch vor ein paar Jahren mal eine Frau aus Butte, Montana, angerufen, sie sagte, sie hat einen Sohn von dir ...

Jessica Lange spielt diese Doreen: eine Offenbarung. Schon für jene einzige Szene, in der sie Howard zurückweist – er will bloß erneut in ihrem Leben untertauchen, statt sie wirklich zu meinen – muss es den Darstellerinnenpreis geben. Die Verfehltheit eines ganzen Lebens schreit und heult und lacht sich da in ein paar Dialogzeilen raus: ein Äußerstes an Verzweiflung, und ein Äußerstes an Tapferkeit. Und da ist Sky (Sarah Polley): Immer wieder steht sie, völlig unpeinlich und noch mit dem Restgeschehen unverbunden, mit der Urne ihrer Mutter herum – und bekommt dann in aller Ruhe jenen hinreißenden Monolog, der ihre Anwesenheit rechtfertigt und überhöht. Gabriel Mann spielt, dauerhysterisch und an der Grenze des psychologisch Vertretbaren, den ziemlich schief erwachsen gewordenen Vaterlosen: Aber muss dieser Randalierer, der sein Mobiliar aus dem Fenster wirft, nicht gerade so scheußlich sein – schrille Karikatur eine Generation weiter, in der Howard entsetzt sich selbst erkennt?

Zwischen Action, die Wenders nicht so gut kann, und Meditation, die kaum einer besser kann als er, beginnt der Film, diese Seelen-Amplitude immer waghalsiger auszuloten; wobei über das very very happy end der Rumpffamilie jeder denken mag, was er will. Zum Beispiel, dass so viel Glück nur im Kino zu haben ist. Oder: Wird in der etwas plötzlichen allgemeinen Seligkeit nicht jene wunderbar herbe Figur vergessen, die in fast jeder Einstellung zu sehen war? Howard verschwindet, er macht seinen Job. Schon möglich aber, dass der lonesome cowboy auf der Flucht sein Leben wiedergewonnen hat.

Von all diesen Themen erzählten Shepard und Wenders schon in „Paris, Texas“ – nur sind die verlorenen Kinder von damals erwachsen geworden. Sie richten ihre Trauer und ihren Zorn gegen die Eltern, die ihnen nicht viel mehr als ihre Gesichter entgegenzuhalten haben: Tob dich aus, mein Kind, ich bin da. So trifft der 61-jährige, noch immer jung wirkende Wenders mit „Don’t Come Knocking“ mitten ins Leitmotiv dieses Festivals, das immer wieder die dysfunktionale und umso harmoniesüchtigere Familie beschwört. Er weicht ihm nicht ins Minimalistische aus wie Haneke und nicht ins Komödiantische wie Jarmusch, sondern lässt sich packen. Und packt, gerade deshalb.

Die beiden deutschen Filme in der Nebenreihe „Un certain regard“ dagegen erforschen, als Werke von Anfangdreißigern, unsere privat und politisch lädierte Welt ausdrücklich aus jugendlicher Perspektive. Christoph Hochhäusler ist bis in den Titel überdeutlich: „Falscher Bekenner“ erzählt von einem familiär behüteten, aber antriebslosen Jugendlichen (Constantin Vonjascheroff), der sein Selbstgefühl mit gefälschten Bekennerschreiben zu lokalen Unglücksfällen aufwertet. Erhellend, wie miserabel die denn doch kleine Misere verpufft; nur hat der Film bis dahin mit Klischee-Nebenfiguren, papierenen Dialogen und arg laxen Improvisationen beträchtlich strapaziert.

Imponierend rund dagegen ist „Schläfer“ gelungen, der Diplomfilm des Münchner Studenten Benjamin Heisenberg. Der junge Biologe Johannes (eine Entdeckung: Bastian Trost) bespitzelt einen algerischen Kollegen, den die Polizei als Schläfer verdächtigt. Bald steht eine junge Frau zwischen den beiden, und schon entwickelt sich eine feine Psychostudie über Freundschaft, Vertrauen, Neid, Eifersucht und schließlich Verrat. Sie sind noch so was von jung, diese Leute: Aber unversehens nehmen sie eine Schuld auf sich, von der einer wie Wim Wenders ein Leben lang erzählen kann.

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