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Kultur: Wer schön ist, hat auch Freude

Eine Diskussion im Hamburger Bahnhof

Sollen wir unsere Sexy-glossy-happy- Welt als „Renaissance der Schönheit“ feiern? Oder doch besser das gnadenlose survival of the prettiest beklagen – das Prinzip von gutem Aussehen als potenter Kriegswaffe in der Kampfzone um sexuelles Kapital? Jedenfalls schärfte die Einführungsveranstaltung der dritten, vom Zentrum für Literaturforschung im Hamburger Bahnhof in Berlin präsentierten Reihe „Wissenskünste“ eher den Blick für die Schattenseiten des Schönheitskampfes, für den hohen Preis, den die Kultur der Schönheitsselektion einfordert.

Es verstören die Fakten: etwa dass schon Neugeborene der Macht schöner Gesichter erliegen, wie der Evolutionspsycholge Alan Slater darlegte. Der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus führte dagegen prägnant und unterhaltsam durch Darwins Theorie des Schönen als eines unpraktischen Selektionskriteriums (der Pfau ist schön bunt, kann aber kaum fliegen und wird schnell von Feinden gesichtet). Auch gab er zu bedenken, dass sich mit dem Abbau sozialer Schranken bei der Partnerwahl ein Rückfall in evolutionäre Mechanismen vollziehe – allerdings unter quasi pathologischem Vorzeichen, da durch die mediale Verzerrung „die Rückbindung an den realistischen Durchschnitt“ wegfalle. Auch dank der wackeren Synthetisierungsversuche durch Moderatorin Sigrid Weigel stimmte der Ausflug ins interdisziplinäre Neuland eher nachdenklich: Das Schönheitskapital ist immer ungleich verteilt. Die Scholastiker nannten das mysterium inaequalitatis und behandelten es als Teilproblem der Theodicee, der Frage, ob Gott gut und gerecht sei. Freilich redeten der nüchterne Empiriker Slater und die ätherisch fabulierende Perfomance- Künstlerin Vanessa Beecroft in füreinander fremden Zungen, was aufs Unterhaltsamste zeigte, dass der Streit um die Schönheit auch im Gedanklichen weitergeht.

David Deißner

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