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Plötzlich geohrfeigt und allein. Die Schauspielerin Sonja (Nora von Waldstätten).

©  coop99 / Spielmann Film

Seelenkammerkino "Oktober November": Wer schweigt, der bleibt

Der Vater liegt im Sterben, und zwei längst erwachsene Schwestern finden im alten Zuhause vorsichtig zueinander. Götz Spielmann hat mit "Oktober November" ein eindringliches Seelenkammerspiel geschrieben - und verfilmt.

Vielleicht erzählt dieser Film, der so langsam anhebt und seine Mitte so lange vorsichtig umkreist, bis sie einem fast entgehen mag, von einer unglücklichen, dabei höchst erfolgreichen Fernsehschauspielerin. Sie lebt allein im modernen Berlin, sie hat Affären, sie entledigt sich ihrer stalkenden Ex-Lover mit schwindender Kraft; sie ist jung, sie ist schön, aber bereits ziemlich zernutzt von einem so zügig wie unmunter voranschreitenden Leben. Nennen wir sie Sonja – und da sitzt ihr bei feinem Wein in feinem Restaurant schon der Nächste gegenüber, der sich mal eben in sie verlieben will.

Vielleicht erzählt der Film aber auch von einer tapfer dahinwelkenden Frau, die alles andere als allein lebt im einstigen elterlichen Gasthof irgendwo in den österreichischen Bergen – mit einem schrecklich netten Mann, einem lieben kleinen Sohn und dem Grantlervater; die Mutter ist schon vor längerem gestorben. Oder lebt sie vielleicht doch sehr allein mit all den Leuten, weshalb sie sich entschieden in den allein lebenden Landarzt verliebt? Ach ja, Verena heißt sie – fast könnte man das Vornamen vergessen, zumal sie mit einer tiefen Namenlosigkeit so bescheiden zurechtzukommen scheint.

Oder der Film erzählt von Verenas Vater, der nach einem Herzinfarkt und einer Nahtoderfahrung, wie man sie als überklar und zugleich verwirrend berauschend in Fachbüchern nachlesen kann, geläutert in seinen Körper zurückkehrt für eine letzte bemessene Zeit. Und auf einmal ist auch die ausgekühlte Sonja zurück aus Berlin, um denn doch nach dem Alten zu schauen, und Verena wiederum schaut leise eifersüchtig auf Sonja, die vor Jahren das Haus hat verlassen dürfen hinaus in die Welt, weil die Mutter es so wollte - und nur sie, Verena, blieb. Zwei Schwestern also, die einen quälenden Lebensabschied begleiten, einander fremd und plötzlich nah.

Das ist das erste Schöne: Dass sich „Oktober November“, siedelnd in einem mindestens so metaphorischen wie meteorologischen Herbst, nicht entscheidet für das eine oder das andere oder das Dritte. Sondern für alles zusammen und für das eine und andere mehr. So wie der österreichische Regisseur Götz Spielmann, dessen schmerzhafte Genauigkeit der seines Landsmanns Michael Haneke ähnelt und der andererseits die nur böse Schärfe eines Ulrich Seidl meidet, nach eigenem Drehbuch loserzählt, um anderweitig weiterzuschweifen, und folglich auch die Vornamen seiner Protagonisten so einstreut, wie sie ihnen selber beiläufig scheinen. Als sei die Kamera nur zufällig dabei, intim wie das eigentliche Leben: in einer schicken Damentoilette, in der eine betrogene Ehefrau Sonja ohrfeigt; am Ecktisch im Berggasthof, wo das Kind gerade Schularbeiten macht; oder an einem Alpensee, wo ein japsender Fisch auf einem Felsen springt, und Sonja sieht zu oder Verena oder ein anderer träumt das nur.

Natürlich ist das alles Absicht. Schon in „Antares“ (2004) und „Revanche“ (2008), seinen bislang eindrücklichsten stilistischen Exerzitien, hat Spielmann mehrere Parallelwelten kunstvoll zusammengeführt und wieder auseinander; hier erfasst sie behutsam ein Strudel, und auf einmal heben sich alle Einsamkeiten auf in einem zentralen Raum. Sonjas in Berlin vergeudete Jugend. Verenas geopferte Jahre im alten Daheim. Und ein in Briefen weitergereichtes Geheimnis, das sich erneut vor jemand anderem schließt, zum Schutz, als Geschenk. Nichts wiegt schwerer als das andere, und weil alles Schwere gleich wiegt, ist es leicht.

Manchmal durchweht „Oktober November“ dabei eine zarte Theaterhaftigkeit. Nicht nur, dass der hoffnungsfrohe Nächstlover Sonjas am Theater arbeitet; auch die Schauspielerin Sonja selber, von Nora von Waldstätten durchdringend ätherisch gespielt, scheint sich manchmal sogar ihren Alltagstext bloß vorzusagen. Peter Simonischek wiederum spielt, vorangetrieben durch eine von letzten Dingen final besessene Regie, arg hingebungsvoll den sterbenden Vater. Dann aber löst ein sekundenkurz flammender Blick von Ursula Strauss alias Verena alles wieder auf ins Filmische, und auch Sebastian Koch als Arzt setzt seine Akzente wirkungsvoll im Unterspielen.

Das Schönste aber ist das schweifende Herumdenkendürfen, während das Geschehen sich behutsam entfaltet und erfüllt – unendlich freier als in vielen anderen Filmen. Selbst die Philosophie streift „Oktober November“, in korrelierenden Nebensätzen der Protagonisten. Sind wir, was wir denken, oder sind wir, was wir tun? Oder gar das, was wir mit Bedacht unterlassen? Ergebnis offen.

In Berlin im Filmtheater am Friedrichshain, fsk am Oranienplatz und Kant; englisch untertitelte Fassung in den Hackeschen Höfen

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